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Baukasten:Boeing 737 MAX - Untersuchungsausschuss

Version vom 13. Juli 2020, 21:34 Uhr von Intermoped (Diskussion | Beiträge) (Quellen für Perspektivtexte)

Boeing 737 MAX - Untersuchungsausschuss

Verantwortung und Kodizes.jpg


Die Teilnehmenden üben, verschiedene Perspektiven zur Betrachtung eines Sachverhalts einzunehmen. Westliches Übelegenheitsdenken, mangelhafte Ausstattung staatlicher Stellen, Regulierung als Fortschrittshindernis und wissenschaftliche Perspektiven auf komplexe Systeme. Technik ist nicht ethisch neutral und so ist auch die Ingenieurarbeit nicht neutral. Die starke Fragmentierung der Ingenieurarbeit, bei der Einzelne auf kleinteilige Arbeitsschritte spezialisiert sind, führt zu einer Entfremdung zum Gesamtprojekt und es ist dabei leicht den Blick für das große Ganze zu verlieren. Für verantwortungsbewusstes Handeln ist gerade dieser Rundumblick wichtig. Identifiziert man einen Verantwortungskonflikt, ist es meistens der Rückhalt in Netzwerken, der hilft diesen zu lösen.

Zwei fast fabrikneue Maschinen des Typs Boeing 737 Max stürzten 2018 und 2019 kurz hintereinander ab. Bis 2020 war die Neuzulassung des Typs nicht abgeschlossen, die Ursache der Abstürze liegt im Versagen eines Sicherheitssystems, das instabile Fluglagen verhindern sollte. Der Baustein blickt aus verschiedenen Perspektiven auf diese Katastrophe. Die Studierende sollen vom konkreten Vorfall abstrahieren und konkrete politische Maßnahmen als Reaktion darauf vorschlagen.

Bereits in der Vorbereitung der Sitzung sind die Teilnehmenden in vier Gruppen aufgeteilt. Zur Vorbereitung steht eine Fernseh-Dokumentation oder alternativ ein Fachvortrag zur Verfügung. Außerdem gibt es zu jeder der vier Perspektiven einen kurzen Einführungstext und einen Quellentext. Der Baustein gliedert sich in vier Teile: Arbeit in den Perspektiv-Gruppen I: Problemdefinition und Abstraktion, Arbeit in den Perspektivgruppen II: Gegenmaßnahmen und Vortragsvorbereitung. Anschließend in der Großgruppe: Rollenspiel parlamentarischer Untersuchungsausschuss, Abschlussdiskussion.

Titel
Boeing 737 MAX - Untersuchungsausschuss
Thema
Unterschiedliche Perspektiven auf Katastrophen führen zu unterschiedlichen Schlüssen und teilweise inkompatiblen Lösungsvorschlägen. Gesellschaftliche Aushandlung bedeutet, verschiedene Gruppen zu berücksichtigen und Kompromisse zu finden.
Typ
digital
Schlagwörter
B737, komplexe Systeme, Rassismus, Regulierung, Politik, Demokratie, Untersuchungsausschuss, Fortschritt, Verantwortung
Kompetenzen
disziplinübergreifende Erkenntnisgewinnung, Kooperation, Partizipation, Reflexion auf Leitbilder, moralisches Handeln, Empathie, Perspektivübernahme, Antizipation, disziplinübergreifende Erkenntnisgewinnung, Umgang mit überkomplexen, unvollständigen Informationen, Partizipation
Lernformen
kreativ, kooperativ, faktenorientiert
Methoden
Quellenarbeit, Gruppenarbeit, Rollenspiel
Gruppengröße
>10
Dauer
90 Minuten
Material und Räume
Videos zur Vorbereitung, Texte zur Vorbereitung: verschiedene Perspektiven auf die B737-MAX-Katastrophe
Qualität
gut
Semester
In welchem Semester wurde der Baustein erstellt?


Vor-/Nachbereitung

Vorbereitung der Moderation

Die Moderation teilt bereits zur Vorbereitung zu Hause den Kurs in vier Gruppen und stellt allen die Links zu den Vorbereitungsvideos (für alle Gruppen gleich) und den Einführungstexten zur Gruppenperspektive sowie den jeweiligen Quellentext zur Verfügung. Bei weniger als 16 TN können Gruppen gestrichen werden.

Die Moderation bereitet sich selbst mittels der BBC-Dokumentation vor und liest bestenfalls die Quellen (<2h Lektürezeit).

Vorbereitung der Teilnehmenden

Die Teilnehmenden sehen sich zur Vorbereitung die BBC-Dokumentation und/oder den Fachvortrag vom 36. Chaos Communication Congress an. Danach lesen sie den Vorbereitungstext und den Quellentext der eigenen Perspektivgruppe.

Nachbereitung der Teilnehmenden

Die Teilnehmenden lesen den Ethik-Kodex des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI), reflektieren diesen und stellen einen Bezug zu den Fallbeispielen her.

Ablaufplan

00. Minute - Begrüßung und gemeinsamer Start in der Großgruppe

Hinweise

Die Moderation stellt den Ablaufplan vor. Die Moderation erstellt vier Breakout-Räume für die erste Arbeitsphase. Die Moderation erklärt, dass der Baustein ein Rollenspiel ist und dass die Teilnehmenden insbesondere für Untersuchungsausschusssitzung am Ende die Rolle ihrer Gruppe übernehmen / spielen.

Folien

Ablauf der heutigen Veranstaltung

  • Phase I : 25 min KG (=Kleingruppenarbeit) - Expert*innen
  • Phase II : 25 min, KG - Expert*innen + Parlamentarier*innen
  • Phase III: 30 min, Untersuchungsausschuss
  • Phase IV: 15 min, Abschlussrunde


5. Minute - Phase 1

Hinweise

In der ersten Phase gibt es 4 Expert*innengruppen. Alle TN einer Gruppe haben in der Vorbereitung den gleichen Text gelesen. Die Moderation achtet darauf, dass die TN sich richtig zuordnen oder ordnet sie zu.


Folien

Phase I: Expert*innen

  • Tauscht euch aus über den Text, den ihr im Vorfeld bearbeitet habt. Eine Person kann ihn kurz zusammenfassen. Gibt es Verständnisfragen? Sind alle auf dem gleichen Stand?
  • Eure Gruppe wird im gespielten Untersuchungsausschuss den Fokus auf die Perspektive eures Textes richten, geht daher sicher, dass ihr euch einig seid, welche das ist
  • Versucht zu generalisieren: findet ihr andere Beispiele neben dem Boeing-737-Fall, anhand derer das Problem deutlich wird? Denkt an andere Unfälle, gesellschaftliche Diskussionen und mediale Aufbereitungen wie Bücher, Filme usw.!
  • Zu guter Letzt wird eine Person von euch “entsendet”, um in Phase II Teil der Parlamentarier*innen zu werden. Einigt euch, wer aus eurer Gruppe gleich Parlamentarier*in sein darf!


30. Minute - Phase 2

Hinweise

Jede Kleingruppe hat eine Person auserkoren, die ab jetzt als Parlamentarier*in dem Untersuchungsausschuss angehört. Es werden ab jetzt fünf Breakout-Räume benötigt. Die vier existierenden Expert*innengruppen bleiben bestehen, dazu kommt die Parlamentarier*innengruppe

Folien

Aufgabenstellung Expert*innen

  • Erarbeitet Governance Vorschläge, die ihr der Regierung im UA unterbreiten könnt.

Welche politischen Maßnahmen könnt ihr euch vorstellen, um das Problem anzugehen? Denkt hierbei gerne breit (und versteift euch nicht auf “das würde ja aber niemals durchgesetzt werden”), Gegenargumente kommen automatisch von den anderen. Ihr könnt euch alles ausdenken, was helfen könnte.

  • Visualisierung: Erstellt zwei Folien um den Parlamentarier*innen klarzumachen,

was eure Perspektive ist, und warum sie sehr relevant ist. (Bezieht euch auf die vorher erarbeiteten Beispiele!) Was eure genialen Governance Vorschläge sind (kurz+prägnant)

  • Ihr bekommt im UA 3 Minuten Zeit, um sowohl eure Perspektive als auch eure Vorschläge mit Hilfe der Folien zu pitchen, bestimmt also eine Person, die enthusiastisch und überzeugend folgendes rüberbringen kann:
    • Was ist eure Perspektive?
    • Warum sind Maßnahmen erforderlich?
    • Welche Maßnahmen schlagt ihr vor?
    • Warum genau diese Maßnahmen?

Aufgabenstellung Parlamentarier*innen

  • Ihr werdet gleich als Parlamentarier*inen den Untersuchungsausschuss (UA) moderieren. Dafür bereitet ihr folgendes vor: HIER NOCH EIN; ZWEI SÄTZE WAS EIN UA IST
    • Stellt euch gegenseitig kurz die Perspekiven eurer Entsendegruppe vor, damit ihr vorbereitet seid auf das, was kommt
    • Macht euch Gedanken über mögliche Konflikte zwischen den Perspektiven.
    • Überlegt euch gute, kritische Fragen an die Gruppen TODO: KONKRETER
    • Bestimmt eine Person, die die Moderation übernimmt. (Aufgaben: Vorgehen erklären, Punkte anmoderieren, auf die Zeit achten, Leute drannehmen, zu lange Redebeiträge stoppen, evtl. Zusammenfassen und Nachfragen bei Unklarheiten,...)
    • Bestimmt eine fragenstellende Person, die eure vorbereiteten Fragen in die Debatte gibt.

Alle anderen beobachten und können auch einhaken, wenn ihnen etwas auffällt, nachhaken, etc. TODO: KONKRETE BEOBACHTUNGSPERSPEKTIVEN

Ablauf der Debatte (= Skript für die Moderation)

    • 2 min: Einleitung: was ist ein UA, was soll hier passieren [Aufklärung der Geschehnisse aus verschiedene Perspektiven, Übertragung auf generelle Problemfelder, Möglichkeiten erörtern, Probleme anzugehen]
    • 15 min : Eine Runde mit Pitches + Vorschläge (je 3 min)
    • 5 min Verständnisfragen
    • 5 min: Folien der Gov. Vorschläge auflegen + challengen durch die Parlamentarier*innen
    • Schlusswort Parlamentarier*innen: Bedanken und Abschluss


55. Minute - Untersuchungsausschuss: Sitzung

Hinweise

Der Untersuchungsausschuss wird komplett von den Parlamentarier*innen geführt. Sie übernehmen sowohl die organisatorische Moderation, als auch die inhaltliche Gestaltung. ==80.Minute - Abschlussdiskussion

Hinweise

Das Rollenspiel ist jetzt beendet, alle sind wieder in ihrer Rolle als Teilnehmende des Seminars. Zum Start bietet es sich an, die Beobachter*innen aus der Parlamentarier*innengruppe aufzurufen. Was ist ihnen aufgefallen - performativ und inhaltlich?

Nachbereitung

  • Recherchiert: wie ist der aktuelle Stand der Aufarbeitung im Fall Boeing 737 MAX
    • Welche konkreten Maßnahmen wurden in der Realität beschlossen

Hinweise und Anmerkungen.

Von den Verfasser_innen

Der Baustein ist neu im SoSe 2020 und wurde an der HTW Berlin zum ersten Mal durchgeführt. Mögliche Erweiterung: Der Untersuchungsausschuss (die Parlamentarier_innen) könnten sich nach den Vorstellungen durch die Expert_innen-Gruppen zur Beratung zurückziehen (Breakoutsession) und dort eine Entscheidung treffen - angelehnt an die Politikvorschläge in den Abschlussberichten realer Untersuchungsausschüsse. Anschließend wird die Entscheidung des Untersuchungsausschuss verkündet. Prozess und Ergebnis können in der Abschlussdiskussion aufgegriffen werden.

Nach weiteren Durchführungen

Noch ausstehend.


Literaturhinweise und Quellen

Quellen für Perspektivtexte

Hintergrundtexte und Websites

Vorbereitung

Vorbereitung - Aufgaben - Verantwortung

Hinweis

Die Moderation teilt die Teilnehmenden in 4 gleich große Gruppen auf. Alle Gruppen bekommen zur Vorbereitung den kurzen Einführungstext mit den Links zu den Videos. Für jede der Gruppen gibt es zusätzlich einen kurzen Text als Einführung in die Perspektive der Gruppe und einen Quellentext.

Überblick

Einführung und Videolinks (für alle)

2018 brachte Boeing mit der 737 Max 8 die vierte Überarbeitung des Modells 737 auf den Markt - die 737-Modellfamilie ist die bisher meistgebaute Verkehrsfugzeugfamilie. Die erste Version dieser Baureihe wurde 1968 gebaut. In kurzem Abstand stürzten dann 2018 und 2019 fast fabrikneue Flugzeuge ab. Der Baustein versucht, vier Perspektiven auf Ursprünge dieser Katastrophe einzunehmen und die Möglichkeiten demokratischer und staatlicher Interventionen zu erörtern.

Die BBC-Doku zu den Abstürzen (leider nur in Englischer Sprache) findest du unter:

https://www.dailymotion.com/video/x7eqscu

Alternativ empfehle ich die sehr detaillierte Aufarbeitung von Bernd Sieker beim 36c3, die allerdings auch deutlich mehr Fachvokabular verwendet. Ebenfalls auf Englisch, eine Simultanübersetzung und Untertitel sind aber verfügbar.

https://media.ccc.de/v/36c3-10961-boeing_737max_automated_crashes

Gruppe 1 - Perspektive westliches Überlegenheitsdenken

Beide Maschinen stürzten außerhalb der westlichen Welt ab. Die Reaktion von Boeing und der Regulierungsbehörden in den USA war lange Zeit geprägt von abwiegeln und dem Verweisen auf mögliche Fehler der Piloten. Obwohl bereits kurz nach dem ersten Absturz Anzeichen für Probleme mit dem MCAS-System diskutiert wurden und Pilot*innen Auskunft von Boeing über die exakte Funktionsweise des Systems forderten, wurde der Flugbetrieb mit dem Modell nicht eingestellt. Wäre der erste Absturz in den USA oder in Europa passiert, wäre die Reaktion von Boeing und Behörden vielleicht anders ausgefallen. Der Artikel beschreibt, wie unsere Wahrnehmung von Vorurteilen geprägt ist und, dass es oft einfacher ist, komplexe Ursachen von Katastrophen außerhalb unserer gewohnten, westlichen Welt auf “rückständige”, “inkompetente” und “unprofessionelle” Organisationskultur und Ausbildung der Beteiligten zu reduzieren.

https://medium.com/@nilegirl/why-arent-we-talking-about-boeing-s-racism-problem-3162e74ccbfe


Gruppe 2 - Perspektive versagende Regulierung

Bei den Entscheidungen der Federal Aviation Agency (FAA) während der Entwicklung der B737 Max wurden oft Sorgfalt und Strenge zurückgestellt gegenüber dem Interesse, dem US-Unternehmen Boeing keine Steine in den Weg zu legen. Der gesamte Prozess der Regulierung wurde über die letzten Jahrzehnte verändert, so dass die FAA immer weniger direkten Einblick in technische Entscheidungen nahm und vermehrt auf Basis von Schriftverkehr mit dem Boeing Management entschied. Weiterhin fehlen der FAA gut ausgebildete Mitarbeiter*innen, da die Gehälter in der Industrie höher sind.Der Untersuchungsbericht des Repräsentantenhauses kritisiert das Verhalten der FAA harsch und in mehreren Punkten. Nicht der ganze Bericht dreht sich um die FAA, du kannst dich beim Lesen auf die Abschnitte zur FAA beschränken.

https://transportation.house.gov/imo/media/doc/TI%20Preliminary%20Investigative%20Findings%20Boeing%20737%20MAX%20March%202020.pdf


Gruppe 3 - Perspektive Gefahren von Regulierung

Dass die B737 zum fünften Mal seit 1968 grundlegend überarbeitet wurde statt ein echtes Nachfolgemodell zu entwickeln, hat vor allem mit dem Type-Rating zu tun. Jede*r Pilot*in muss für das Flugzeugmodell ausgebildet werden, das sie*er steuert. Die Ausbildung für diesen modellabhängigen Führerschein ist aufwändig und teuer. Für den Vertrieb von Boeing war es daher entscheidend, dass Pilot*innen mit Type-Rating für andere 737 Generationen auch das neue Flugzeug ohne erneute Ausbildung fliegen dürfen. Daher wurden bei der Entwicklung der 737 Max alle Änderungen zum alten Entwurf möglichst klein gehalten und gegenüber der Federal Aviation Agency (FAA) noch weiter heruntergespielt. Das fehlerhafte MCAS-System wäre bei einem neuen Entwurf nicht nötig gewesen, ebenso wären die Handräder zur Notfallbedienung der Drahtseile entfallen. Regulierung setzt also auch falsche Anreize und verhindert Weiterentwicklung, auch sicherheitsfördernde Weiterentwicklung. Das Paper diskutiert diese Problematik mit noch mehr Betrachtungsabstand und modelliert die volkswirtschaftlichen Schäden, die ein mehr an Regulierung haben kann, selbst wenn es lokal (hier im Flugzeugbereich) die Sicherheit erhöht.

https://www.cato.org/sites/cato.org/files/2020-03/regv43n1-1.pdf

Gruppe 4 - Perspektive komplexe Systeme

Moderne Maschinen und Geräte sind meistens komplexe Systeme. Ihr Verhalten ist nicht komplett vorhersagbar, kein einzelner Mensch versteht das System komplett und die Menge der möglichen Systemzustände ist viel zu groß, um alle zu testen. Systems Engineering (deutsch Systemtechnik) beschäftigt sich mit dem Entwurf, der Beschreibung und der Modellierung komplexer Systeme.

Darüberhinaus kann man fragen, wie viel Komplexität wir als Menschen begreifen und beherrschen können und ob die Fertigkeiten ím Umgang mit solchen Systemen im gleichen Maß wachsen wie die Komplexität der Systeme.

Das verlinkte Paper aus dem Jahr 2000 stellt einige plakative Thesen für die Eigenheiten komplexer Systeme und einen guten Umgang damit auf.

https://www.researchgate.net/publication/228797158_How_complex_systems_fail