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Version vom 2. März 2020, 17:02 Uhr
RAD AB - SCHRAUBE LOCKER - Werkzeugkasten zur Demontage von Technik und Gesellschaft
Der Dieselskandal, der Rückgang von Artenvielfalt, der Arbeitsplatzverlust durch Automatisierung, die steigenden Mietpreise, das Erdölregime und das Fußballspiel im Fernseher - das sind ganz konkrete Einzelfälle. Sie sind unterschiedlich und doch lassen sich tiefer liegende Strukturen herausarbeiten.
Die Ausstellung RAD AB, SCHRAUBE LOCKER bietet einen Werkzeugkasten zur Demontage von Technik und Gesellschaft. Der Werkzeugkasten legt frei was verborgen ist und verbindet was getrennt scheint. Die Vielzahl von gesellschaftlichen Herausforderungen und Phänomenen werden stets getrennt voneinander verhandelt und angegangen. Hierdurch werden tiefliegende gesellschaftliche Mechanismen verdeckt, die sich ganz unabhängig vom Thema entfalten und damit unser Zusammenleben weitestgehend bestimmen. Der Werkzeugkasten zur Demontage von Technik und Gesellschaft hält Werkzeuge bereit, um Verborgenes freizulegen und Getrenntes zu verbinden. Komplexe Sachverhalte werden so vereinfacht aber auch verständlicher. Jede_r kann sich dieser Werkzeuge bedienen und damit Arbeitswelt und Privatleben sowie Technik und Gesellschaft demontieren.
Insgesamt werden 24 verschiedenen Werkzeuge in der Ausstellung vorgestellt, von der “Leiter des Höher-Schneller-Weiter”, die “Schere der Ungleichheit” über den “Bart des Patriarchats” bis zur “Zwangsjacke der Natur”. Mit Hilfe der Werkzeuge lassen sich die Gemeinsamkeiten von unterschiedlichen gesellschaftlichen Themenfeldern offenlegen. Aktuell sind dies Automobilität, industrialisierte Landwirtschaft, Digitalisierung/Automatisierung, Stadtentwicklung, Erdöl und Fußball. Die bestehenden Werkzeuge sind nicht auf einzelne Themen beschränkt, sondern lassen sich flexibel auf neue Themenfelder anwenden. Zusätzlich werden die Besucher_innen ermutigt die Werkzeuge mit nach Hause zu nehmen, um dort ihr Privat- und Berufsleben zu demontieren, das heißt zu analysieren und zu reflektieren.
Eigenständige Webseite - RAD AB - SCHRAUBE LOCKER
Die Ausstellung besteht damit im wesentlichen aus zwei Elementen: Werkzeugen und Anwendungsfeldern.
Werkzeuge der Ausstellung
Jedes einzelne Werkzeug beschreibt ein konkretes gesellschaftliches Phänomen, z.B. Höher-Schneller-Weiter, Patriarchat oder Ungleichheit. Dieses Phänomen wird verknüpft mit einem Alltagsgegenstand, umso ein möglichst plastisches Bild zu bieten, z.B. Leiter des Höher-Schneller-Weiter, Bart des Patriarchats oder Schere der Ungleichheit. In der Ausstellung werden daher Alltagsgegenstände ausgestellt, die jedoch durch einen Erklärtext eine weitere Bedeutungsebene erhalten durch die gesellschaftliche Strukturen offengelegt werden können. Der Erklärtext umfasst jeweils einen Satz, der das Werkzeug pointiert beschreibt, und einer kurzen Erläuterung. Im Schnitt sind die Texte etwa 100 Wörter lang. Zudem ist jedem Werkzeug ein einfaches Icon zugeordnet, das den Alltagsgegenstand darstellt. Allen Werkzeugen wurden zusätzlich zwei feste Farben zugeordnet.
Die folgenden 24 Werkzeuge werden derzeit in der Ausstellung verwendet: Sprachgewohnheiten-Brecher; Glibber der Grenzwerte; Poltergeist der Neutralität der Wissenschaft; Abspann des Katzenvideos; Plastikdinosaurier der Ewigkeit; Maßstab der Demokratie; Russisches Restrisiko-Roulette; Gewicht der Anforderungen; Leiter des Höher-Schneller-Weiter; Gesellschaftlicher König Midas der Verwüstung; Einmachglas des Einzelnen; Teuchnikskreis der Technik; Mark Twains Hammer; Bart des Patriarchats; Zwangsjacke der Natur; Schere der Ungleichheit; Stählerne Faust der neuen Ordnung; Torte zum gleichzeitigen Essen und Behalten; Happy-Meal des Kauf-dich-glücklich; Steckdose des Simsalabim; Uhr zum Messen und Herrschen; Feuerlöscher gegen den Flächenbrand; Torte zum gleichzeitigen Essen und Behalten; TING-D - Konstellationsanalyse und Feuerwerk zu meiner Freude und deinem Leid.
Der Werkzeugkasten kann flexibel erweitert werden, um so andere Aspekte zu beschreiben. So bestehen bereits jetzt schon viele zusätzliche Werkzeuge, wie z.B. das Glücksrad des Unglücks, Perpetuum Immobile des Status Quo, das Fachbuch der Entmündigung oder das Reagenzglas der Emotionen.
Themenfelder der Ausstellung
Das zweite Ausstellungselement ist die Anwendung der bestehenden Werkzeuge auf gesellschaftliche Themenfelder. Da nicht jedes Werkzeug zwangsläufig auf jedes Themenfeld passt, bzw. nicht in wenigen Sätzen angewendet werden kann, werden in der aktuellen Ausstellung jeweils nur etwa sieben Werkzeuge pro Themenfeld genutzt. Im Schnitt sind die Texte etwa 100 Wörter lang. Zu jedem Themenfeld gibt es zudem eine Reihe von Bildern, die eine einheitliche Bildsprache haben. Die Bildersprache unterscheidet zwischen den einzelnen Themenfeldern.
Bisher wurden die Werkzeuge auf die folgenden sechs Themenfelder angewendet: motorisierter Individualverkehr, industrialisierte Landwirtschaft, Stadtentwicklung, Erdöl und Fußball. Eine Erweiterung der Themenfelder ist ohne weitere möglich. So gibt es zur Zeit Überlegungen das Oberthema Energie gezielt zu bearbeiten. Hierfür würde es aufgeteilt in etwa drei bis vier Unterthemen.
Beispiel: Fünf Werkzeuge und ihre Anwendung auf jeweils ein Themenfeld
Jedes Werkzeug wird im Schnitt auf vier Themenfelder angewendet - weiter unten ist aber jeweils nur ein Anwendungstext angegeben.
Leiter des Höher-Schneller-Weiter
Mit der Leiter des Höher-Schneller-Weiter kommt man nicht in den Himmel und auch nirgendwo anders hin, denn ihr Ziel ist einzig nur noch höher, noch schneller und immer noch weiter zu steigen.
Eine Leiter ohne Ende erstreckt sich in die Unendlichkeit. Ihre beiden Enden treffen sich also irgendwann und formen ein riesiges Hamsterrad. Wer immer noch höher strebt, immer noch schneller das nächste Ziel erreichen möchte und nur noch weiter will, der kommt nie an.
Mobilität: Ein Motor pro Auto ist schon lange nicht mehr ausreichend, sondern immer mehr Elektro-Motoren sind nötig damit die Fenster, der Kofferraum und sogar die Türen sich auf Knopfdruck öffnen und schließen. Mit jedem zusätzlichen Motor steigt scheinbar die Freude am Fahren, vor allem dann wenn über 1.000 PS auf die Straße gebracht werden. Es ist also vielleicht gar nicht so verwunderlich, dass die einfache Pendelstrecke in Deutschland innerhalb von 15 Jahren um 21 % gestiegen ist, sprich von 8,7 km auf 10,5 km. Die Ingenieur_innen dieser Leiter des Höher-Schneller-Weiter pendeln von allen am weitesten: Im Median sogar 18,5 km - doch sie fahren wohl kaum über leere Straßen, sondern zusammen mit allen anderen stehen sie im Stau.
Gesellschaftlicher König Midas der Verwüstung
Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet Ihr merken, dass man Geld nicht essen kann. - Weissagung der Cree
Es ist längst nicht mehr nur ein einzelner Mensch - König Midas - dessen Habgier alles zu Gold verwandelt, was er berührt. Stattdessen ist unser gesellschaftliches Naturverhältnis und damit das Verhältnis nahezu aller Individuen zur Natur längst so ausgestaltet, dass auch der letzte Winkel der Natur ein Preisschild angeheftet bekommt, wenn er nicht komplett verwüstet wird.
Fußball: “Fußball ist unser Leben - denn König Fußball regiert die Welt. - Wir kämpfen und geben alles - bis dann ein Tor nach dem andern fällt.” - 1974 war es nur ein Lied, das aber immer mehr zur Realität wird. Passives Fußball schauen wird als absolutistischer König Midas der Verwüstung installiert: An sieben Tagen in der Woche flackert es auf den Bildschirmen, während immer weniger Menschen selber Fußball spielen oder ihre kleinen Dorfvereine unterstützen. Zugleich werden die anderen Sportarten an den Rand gedrängt, wie auch jegliche andere gesellschaftliche Tätigkeit. So muss zum Beispiel ein gut angenommenes, gepflegtes und mehrfach ausgezeichnetes Urban Gardening Projekt in Berlin-Wedding einer weiteren Fußballakademie für Nachwuchstalente weichen.
Plastikdinosaurier der Ewigkeit
Dinosaurs and man, two species separated by 65 million years of evolution, have just been suddenly thrown back into the mix together. How can we possibly have the slightest idea what to expect? - Jurassic Park
Wir holen unentwegt Jahrmillionenaltes aus der Erde, bearbeiten es so, dass wir für 5 Minuten, 5 Tage oder 5 jahre unsere Freude daran haben. Anschließend werfen wir es auf einen großen Haufen und in einhundert Million Jahren fragt sich die intelligente Spezies, die unseren Platz auf der Erde einnimmt, wie die ganzen Plastikdinosaurier auf die Erde gekommen sind und warum sie so plötzlich ausgestorben sind.
Landwirtschaft: Auf den ersten Blick ist Landwirtschaft der Inbegriff von Erneuerbarkeit. Jedes Jahr können wir erneut ernten, die Natur gibt großzügig. Auf den zweiten Blick kommt unsere Landwirtschaft ohne den Plastikdinosaurier der Ewigkeiten und fossile Rohstoffe nicht mal bis zur Aussaat. Landmaschinen brauchen Diesel, für Düngemittel werden Phosphatvorkommen ausgebeutet und Spargel, Erdbeeren und Salat wachsen unter Plastikfolien oder gleich im geheizten, künstlich beleuchteten Gewächshaus und werden schlussendlich zu uns geflogen.
Bart des Patriarchats
Beim Barte des Propheten, das Patriarchat hat einen Bart.
Wenn alte (weiße) Männer das Sagen haben und im wesentlichen bestimmen, was geschieht, dann richten sich die Sitten, Werte, Normen der Gesellschaft, nach den Vorstellungen und Vorlieben dieser alten (weißen) Männer. Doch heutzutage wächst dem Patriarchat ein immer längerer Bart, ganz wie der Bart von abgeschmackten Herrenwitzen.
Mobilität: Die deutsche Automobilindustrie hat den prächtigsten Bart des Patriarchats. Über alle Beschäftigten hinweg haben nur 14 % ein anderes Geschlecht als das männliche. Je zentraler die einzelnen Abteilungen sind, desto männlicher wird zudem die Belegschaft. So sind 92,5 % der Beschäftigten in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen Männer und nur noch 7,5 % der Beschäftigten haben ein anderes Geschlecht. In den Vorständen der deutschen Autobauer war bis 2010 keine einzige Frau vertreten und auch 2018 sind nur 4 von 24 Vorstandsmitgliedern weiblich, gerade mal 16,7 %. Das Automobil und mit ihm die Forcierung des motorisierten Individualverkehrs sind damit keine “neutrale” Technik, sondern durch und durch männlich dominiert.
Happy Meal des Kauf-Dich-Glücklich
Kaufen, kaufen, kaufen - für einen kurzen Augenblick fühlt man sich lebendig, prompt geht’s einem besser, jetzt ist man wer und gleich wieder nicht.
Der Kaufakt fühlt sich so gut an, weil er eine soziale Interaktion ist bei der sich Menschen als scheinbar Gleiche begegnen. Ich gebe dir etwas, damit Du mir ein anderes mit gleichem Wert gibst, das ich begehre. Nur einen Moment später sind wir jedoch scheinbar Ungleiche und ich kann mich kaum noch über mein Haus, mein Auto und mein Boot freuen, weil mir dein Haus, dein Auto und dein Boot viel besser gefallen.
Industrielle Landwirtschaft: Das Happy Meal des Kauf-Dich-Glücklich ist ein 3-in-1 Angebot um mit dem eigenen Frust umzugehen: Frustkaufen, Frustessen und dann noch ein richtig spannendes Spielzeug. Wäre doch gelacht, wenn der Frust nicht dadurch endgültig durch ewige Glückseligkeit abgelöst wird - zumindest so lange bis man sich ernsthaft mit den Bedingungen und Folgen der industriellen Land- und Viehwirtschaft auseinandersetzt.