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Version vom 26. Februar 2014, 23:39 Uhr
Arbeiten bei einem Rüstungsunternehmen? (Text 1)
Fallstudie
[...] viele meiner Mitstudenten waren wie ich bei Rheinmetall, Atlas, oder einem anderen hauptsächlich mit Rüstung befassten Unternehmen. Auch unter den Dozenten und Professoren gab es viele, die früher oder noch immer in irgendeiner Form mit diesen Unternehmen in Verbindung standen. Insofern hatte ich auch nie den Eindruck, mich für einen ungewöhnlichen Bereich entschieden zu haben. Von der moralischen Seite aus habe ich mir auch deswegen nie viele Gedanken gemacht, entscheidender für mich war, wie letztendlich dort gearbeitet wird. Mittlerweile bin ich seit vier Jahren bei Rheinmetall und bin jetzt im Bereich der Feuerleitung, Aufklärung und der Entwicklung einer Sensorplattform tätig. Diese wird später einmal in einem Panzerturm verbaut werden. Dabei habe ich die Möglichkeit, an hochkomplexen und sehr interessanten Systemen auf technisch höchstem Niveau mitzuwirken, beispielsweise den neusten Entwicklungen an Wärmebildkameras und Bildverarbeitungssoftware. [...] Meiner Ansicht nach baue ich Sichtsysteme, bei denen es nicht darum geht, Leute abzuschießen, sondern sie durch eine bessere Beobachtungsmöglichkeit ihrer Umwelt zu schützen, in meinem Fall in ihren Fahrzeugen. [...] Waffen sind nun mal Bestandteil unserer Welt und wer sie haben möchte, wird sie auch bekommen. Wenn nicht von uns, dann sicher von anderen, die vielleicht mit weniger Sorgfalt arbeiten, so dass am Ende vielleicht die Falschen getroffen werden. [...] Die Verantwortung für den sinnvollen Einsatz [liegt] bei denen, die die Systeme benutzen. In meinem privaten Umfeld habe ich noch niemanden gefunden, der mit meiner Arbeit ein Problem hat, auch wenn ich natürlich weiß, dass es Leute gibt, die anderer Meinung sind. Aber ich denke, das ist etwas, was jeder für sich selbst entscheiden muss. Der Unterschied zu anderen Unternehmen ist im Alltag auch kein großer. Anders ist hauptsächlich, dass alles nur in kleiner Stückzahl hergestellt wird, verglichen mit dem zivilen Massenmarkt. Das macht die Dinge natürlich teurer, aber wir sind damit auch flexibler und können schneller auf neue technische Entwicklungen reagieren. Dadurch und weil meistens Staaten oder Staatsunternehmen unsere Kunden sind ist auch mehr Geld vorhanden als im zivilen Bereich. Mehr Geld ermöglicht auch mehr und intensivere Forschung und eigene Entwicklungen, statt auf Fremdprodukte von der Stange zurückzugreifen.“
(erstellt aus einem Interview mit einem Mitarbeiter von Rheinmetall Defence)
Schlechter Ruf, beste Technologie
Der entscheidende Vorteil sei jedoch ein inhaltlicher. „Der schlechte Ruf geht oft einher mit der Forschung an Unbekanntem, an zunächst Befremdlichem“, sagt Markmann. „Er geht deshalb aber unweigerlich auch einher mit der Arbeit an Spitzentechnologie.“ Diese Technologie wiederum könne später auch in beliebteren Branchen Anwendung finden, zum Beispiel in der Umwelttechnik. Beispiel Rüstung: „Im militärischen Bereich arbeiten wir an der Grenze des technisch Möglichen“, sagt Chantal Jonscher, die für das Recruitment des Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS in Deutschland verantwortlich ist. „Das ist etwas anderes, als Toaster zu bauen.
FAZ, „Karriere in der Schmuddelecke“ vom 21.10.2010
Fakt: Satellitentechnik ist ein größtenteils militärisch erforschter Bereich, ist aber heutzutage extrem wichtig für den zivilen Bereich (Umweltbeobachtungen, Kommunikation, Forschung uvm.).
Heile Welt
Mehr als ein Dutzend größerer Rüstungsfirmen residieren am Bodensee. [...]Die Rüstungsbetriebe beschäftigen Tausende Mitarbeiter, sie zahlen Millionen Euro Gewerbesteuer, unterstützen Vereine, finanzieren Kindergärten und geben Geld für Schulen, Blasorchester oder Sportveranstaltungen. Rüstungsproduktion sorgt hier für sozialen Kitt. Darauf will keine Kommune verzichten. [...] »Ich schäme ich mich nicht für meine Arbeit«, sagt Standortleiter Wischmann, der bei EADS noch vor Kurzem für den zivilen Airbus A380 mitverantwortlich war. »Wir bauen Aufklärungsgeräte, die die Piloten mit Informationen versorgen, damit sie keine Fehlentscheidungen treffen. « Die an der Rüstung und Verteidigung Beteiligten, fügt der Manager noch hinzu, »sind nicht diejenigen, die entscheiden, wie diese im Einsatzfall genutzt werden«. Es sind Tüftler [...], die dafür sorgen, dass Deutschlands Rüstungsprodukte auch im Ausland so erfolgreich sind. In kaum einer anderen Region Deutschlands werden pro Jahr so viele Patente entwickelt wie in Bodensee-Oberschwaben.
Zeit Online, „Heile Welt“ vom 8.11.2010
Fakt: In der Rüstungsindustrie sind aktuell ca. 80.000 Menschen beschäftigt. Die Rüstungsindustrie zählt (gemessen an den Patentanmeldungen) zu den innovativsten Industriezweigen die es gibt.
Ingenieure in Gewissensnöten
Was mithin jeden Ingenieur kitzeln müsste, sind die Entwicklungsaufgaben, die Arbeit an den Technologien von morgen. „In der Wehr- und Sicherheitstechnik wird an der Grenze des Machbaren gearbeitet. Eine Herausforderung für jeden Ingenieur“, sagt Dieter Monka, Personalchef von Diehl Defence. Letztlich gehe es um Spitzentechnologie, die oft genug auch von zivilem Nutzen ist. [...] Auch, weil die Entwicklungszyklen in der Wehrtechnik lang seien, ein Ingenieur von der ersten Idee bis zum fertigen Produkt sechs bis 15 Jahre kontinuierlich und umfassend an einer Technologie arbeitet. „Hier entwickelt der Einzelne nicht nur das Türschloss hinten links wie in der Autoindustrie, sondern arbeitet an einem ganzen System“, sagt Monka. Jost Kamenik, Seniorberater in der Industriesparte von PA Consulting, beobachtet, wie scharf zwischen den Arbeitgebern in dieser Branche unterschieden wird: „Es gibt ein paar wenige Buhmänner, die klar Waffensysteme entwickeln und gemieden werden, und eine Reihe von Luft- und Raumfahrtunternehmen mit tadellosem Image, die als Arbeitgeber begehrt sind.“ Dabei sind die Entwicklungen der vermeintlichen Good Guys ebenso rüstungsrelevant.
VDI Nachrichten, „Ingenieure in Gewissensnöten“ vom 25.03.2011
Arbeiten bei einem Rüstungsunternehmen? (Text 2)
Zitate aus verschiedenen Online-Foren
Wo wären wir ohne Rüstungsindustrie?
Ich stelle mal diese Gegenfrage: Navigationssysteme, Satellitenfernsehen, Internet, Düsenflugzeuge, Teflonbeschichtungen, sämtliche Funktechnologie (Handys inklusive)...wo wurde das alles erforscht? Die größten deutschen Forschungseinrichtungen in Deutschland sitzen nunmal in den Universitäten und Rüstungsunternehmen. Wer jetzt schon widersprechen möchte, dem sei gesagt dass Forschung und Entwicklung ein kleiner feiner Unterschied ist. Gewöhnliche kommerzielle Wirtschaftsunternehmen unterhalten riesige (zielgerichtete) Entwicklungsabteilungen. Richtig ungebundene Forschung gibt es aber selbst an Universitäten eher noch selten. Ich befinde mich momentan auf der Zielgerade meines Ingenieurstudiums und dieser Absatz dort oben soll jetzt mal veranschaulichen, warum die Rüstungsindustrie auch für die meisten meiner Mitstudenten als Arbeitsnehmer so sexy ist. Ich mag mal behaupten, dass hierbei Selbstverwirklichung die größte Rolle spielt. Die wenigsten der Maschinenbauabsolventen haben Lust in einer Entwicklungsabteilung eines Automobilkonzerns zusammen mit 100 anderen die Bremsen zu optimieren. Wer wirklich Pioniergeist in sich trägt geht entweder in entsprechende Institute und fristet dort zunächst bei schlechter Bezahlung und Zeitverträgen sein Dasein oder geht beispielsweise in die Rüstungsindustrie. In meinem Fall ist beispielsweise auch die Luftfahrtindustrie sehr interessant. Die reizvollsten Projekte sind auch hier militärisch. Man nehme den neuen Transporter 400M von Airbus. Man hat sich hier sinnvollerweise auf Propellerantriebe festgelegt, jedoch hätte man diese Triebwerke aus Canada importieren müssen, weil diese in der kommerziellen Luftfahrt eher ein Randdasein haben. Da es sich bei einem Militärprojekt aber auch um Prestige handelt wurde "spontan" eine Unterfirma bei Airbus gegründet die diese Propeller jetzt entwickelt. Fairerweise muss man dazu sagen, dass der ungeheuerliche zeitliche Verzug auch größtenteils an den Propellern liegt... Für Rüstungsgüter werden nunmal immense Summen gezahlt, die es erlauben große Forschungsabteilungen aufzumachen. Zudem ist der zeitliche Drang nicht wirklich gegeben. In der der freien Wirtschaft gibt es Deadlines bis wann eine Entwicklung abgeschlossen sein muss...Militärprojekte sind aber meist nicht nur Optimierungen sondern meist komplette Neuentwicklungen. So etwas braucht eben Zeit. [...]
User dan09 im BVB-Forum, 12.07.2011
Fakt: Das Internet basierte auf dem militärischen Arpanet, GPS wird vom US-Militär unterhalten, Düsenflugzeuge wurden im 2. Weltkrieg erfunden, Teflon wurde erstmals bei der Entwicklung der Atombombe technisch angewendet. Stellenangebote in wissenschaftlichen Instituten sind in der Regel befristet. Europrop International GmbH, Hersteller des A400M Triebwerks ist ein 2004 gegründetes Joint-Venture, bestehend aus MTU Aero Engines, Snecma, Rolls-Royce und Industria de Turbo Propulsores.
Bist du wirklich Pazifist?
[Anmerkung: User „Stefan“ möchte eigentlich aus ethischen Gründen nicht in der Rüstungsindustrie arbeiten, ist sich aber nicht sicher.] Hallo Stefan! Ich als ex Zivi kann deine Einstellung nachvollziehen. Aber ich muss mal etwas zum Thema loswerden: Auf dem Seminar das von der Bundesregierung gesponsert wurde und das alle Zivis besuchen mussten hatte ich einen sehr guten Lehrer. (auch wenn andere behaupten, diese Seminare seien blöde und langweilig mir hat es bei dem Lehrer Spass gemacht- er wird nicht ohne Grund in Zivikreisen per Mundpropaganda weiterempfohlen - wir waren alle auf Empfehlung in seinem Kurs) Er hat uns einmal unsere Argumente auseinandergenommen und zwar hart aber fair. Erst hat er gefragt, wer von uns den Pazifist sei. Am Ende des Lehrganges hatt er uns vor Augen geführt, wie leicht die meisten von uns das nicht mehr sind, und dass die, die es bleiben ganz schön doof dastehen. Da kam nicht das abgelutschte Argument mit der Freundin nachts im Park, die vergewaltigt wird. Da kam mehr, argumentatives, nachvollziehbares. Es ist doch so - um es mal über das Knie zu brechen, dass ein Rechtsstaat gewährleistet werden muss. Da aber international fast alles auf Machtgefügen basiert muss ein Rechtsstaat durch eine gewisse Macht erhalten werden. Wenn ich als Staat keine military Power besitze kann das - um mal der Argumentationsweise zu folgen - dazu führen, einen Krieg auszulösen. besitzt ein Staat Drohpotential, so trägt er irgendwo zur Stabilisierung des Machtgefüges bei. Ein gutes Beispiel ist immer der Zusammenbruch der Sowjetunion. Diese Begebenheit hat die Welt mehrmals an den Rand von Weltkriegen geführt und dazu beigetragen, die Machtgefüge im nahen Osten so zu destabilisieren, dass dort heute Kriege herrschen, die nicht einmal die USA in den Griff bekommen (Kosovo). Wovon lebst du als Zivilist also? Du lebst davon, dass andere Menschen einen dreckigen job für dich machen, und deine Umgebung so stabilisieren, dass dir die zivile Arbeit ermöglicht wird. Du kannst natürlich gegenhalten und sagen, dass du den Soldat sehen willst, der noch kämpfen möchte, wenn er weiß, dass seine Eltern in Ihrem eigenen Dreck ersticken! Doch die Realität beweist das Gegenteil: In jenen Gebieten, die kein klares, militärisch oder wirtschaftlich untermauertes System besitzen gibt es wenig zivile Versorgung in jeder Hinsicht, und jeder schleppt eine Waffe mit sich rum und gebraucht sie auch. Dort gibt es keine Zivilisten und Pazifisten - da sieht jeder zu, dass er über die Runden kommt. Deshalb will ich dir sagen, dass du genauso stolz darauf sein könntest, in der Rüstungsindustrie zu arbeiten, wie Zivilist zu sein - es ist nichts verwerfliches daran, ganz im Gegenteil hat deine Arbeit zwar schlechtes Potential, jedoch u.U. gute Wirkung! Am Ende des Lehrganges wurde uns vorgespielt, jemand zerkratze den Lack der Privatwagen der Zivis - hast du eine Ahnung, wie Mordlustig die Autobesitzer unter uns wurden? [...]
user: ___...._____., rclineforum, 12.08.2004
Ursprüngliche Texte verändert von: M. Preidel