Baukasten:Verantwortung und Kodizes - digital: Unterschied zwischen den Versionen
(→Vor-/Nachbereitung) |
(→Überblick) |
||
(4 dazwischenliegende Versionen von einem anderen Benutzer werden nicht angezeigt) | |||
Zeile 406: | Zeile 406: | ||
'''4) Ford Pinto-Fall''' | '''4) Ford Pinto-Fall''' | ||
− | Die Ford Motor Company stand Ende der 60er Jahre auf dem amerikanischen Markt in scharfem Wettbewerb mit VW und dem | + | Die Ford Motor Company stand Ende der 60er Jahre auf dem amerikanischen Markt in scharfem Wettbewerb mit VW und dem VW Käfer. Um einen dazu analogen Kleinwagen auf den Markt zu werfen, wurde der Ford Pinto übereilt entwickelt; so wurden z.B. die Werkzeugmaschinen für die Produktion parallel zum Bau des Prototyps gebaut. Tests zeigten bereits am Prototyp einen gefährlichen Fehler: Ein Aufprallunfall mit etwas mehr als 40 km/h verursachte das Bersten des Benzintanks und führte zum Brand des Fahrzeugs. Eine vierzig malige Wiederholung des Tests bestätigte das Ergebnis. Als Lösung des Problems wurde von den Ford-Ingenieuren eine Plastikpufferung vorgeschlagen, deren Kosten für Material und Einbau bei $ 11 pro Wagen betragen hätten. Das Management musste über diese Modifikation und deren Kosten entscheiden. Bei der folgenden Kosten-Nutzen- Analyse ging man davon aus, dass ein Menschenleben nach Berechnung des Bundesamts für Sicherheit des Landstraßenverkehrs (National Highway Traffic Safety Administration) versicherungstechnisch damals $ 200 000 im Falle eines Regresses wert war und man schätzte die Zahl der möglichen Todesfälle, Verletzungen und verbrannten Autos sowie deren Kompensationskosten ab (vgl. Tab. 1). |
Aus dieser Vergleichsrechnung fällten die Manager die Entscheidung, die Konstruktion zu belassen und den Plastikpuffer nicht einzusetzen. Weitere Versuche der Ingenieure einer Verbesserung stießen auf Widerstand des Managements. Dem damaligen Chef der Ford Company, Lee Iacocca wurde der Spruch nachgesagt: „Safety doesn’t sell“. | Aus dieser Vergleichsrechnung fällten die Manager die Entscheidung, die Konstruktion zu belassen und den Plastikpuffer nicht einzusetzen. Weitere Versuche der Ingenieure einer Verbesserung stießen auf Widerstand des Managements. Dem damaligen Chef der Ford Company, Lee Iacocca wurde der Spruch nachgesagt: „Safety doesn’t sell“. |
Aktuelle Version vom 26. Januar 2021, 19:42 Uhr
Verantwortung und Kodizes - digital
Die Teilnehmenden reflektieren ihre Verantwortung als angehende Ingenieur_in. Sie werden dazu angeregt, ihr eigenes Schaffen stets kritisch zu hinterfragen und ihre Arbeit als Ingenieur_in im größeren Kontext zu betrachten. Sie lernen Verhaltensweisen und Lösungswege für Situationen kennen, in denen die eigenen Werte mit ihrem Beruf in Konflikt stehen. Unterstützend dazu bekommen sie einen Ethik-Kodex für Ingenieur_innen an die Hand und reflektieren dessen Wirksamkeit und Grundsätze.
Technik ist nicht ethisch neutral und so ist auch die Ingenieurarbeit nicht neutral. Die starke Fragmentierung der Ingenieurarbeit, bei der Einzelne auf kleinteilige Arbeitsschritte spezialisiert sind, führt zu einer Entfremdung zum Gesamtprojekt und es ist dabei leicht den Blick für das große Ganze zu verlieren. Für verantwortungsbewusstes Handeln ist gerade dieser Rundumblick wichtig. Identifiziert man einen Verantwortungskonflikt, ist es meistens der Rückhalt in Netzwerken, der hilft diesen zu lösen.
In Vorbereitung auf die Sitzung erarbeiten sich die Studierenden zunächst ein allgemeines Verständnis des Begriffs Verantwortung und setzen sich anschließend mit der spezifischen Verantwortung von Ingenieur_innen auseinander. Hierzu lesen sie einen Text sowie ein Fallbeispiel eines Verantwortungskonfliktes aus der Berufspraxis. Anschließend verfassen die Studierenden ein selbsterlebtes Fallbeispiel, um einen persönlichen Bezug herzustellen. Im Seminar diskutieren die Teilnehmenden die Fallbeispiele in zwei Runden und nutzen dabei das Hintergrundwissen aus der Vorbereitung. Für einen intensiveren Austausch ist die Zeit dabei sehr großzügig bemessen. Der Abschluss der Sitzung findet individuell in den Kleingruppen statt. Dieses offene Ende gibt die Möglichkeit Diskussionen bei Bedarf länger zu führen. Als Nachbereitung lesen die Studierenden den Ethik-Kodex des Vereins Deutscher Ingenieure, reflektieren diesen und wenden ihn auf die diskutierten Fallbeispiele an.
Vor-/Nachbereitung
Vorbereitung der Moderation
Die Moderation passt die Auswahl und Anzahl der Fallbeispiele an die Gruppengröße an und verteilt diese gleichmäßig auf die Teilnehmenden. Bei mehr als sechs Teilnehmenden werden die sechs Fallbeispiele genutzt, um die Vielfalt möglicher Konflikte aufzuzeigen. Bei Gruppen mit weniger als sechs Teilnehmenden wählt die Moderation einzelne Beispiele aus oder gibt den Teilnehmenden jeweils zwei Fallbeispielen.
Bei einer Gruppengröße von sechs Personen bereitet sich jede Person auf ein Fallbeispiel vor. Mit steigender Teilnehmendenzahl werden die Fallbeispiele ungefähr gleichmäßig auf die Personen verteilt, z.B. lesen bei 60 Teilnehmenden jeweils etwa zehn Personen dasselbe Fallbeispiel. Die Verteilung erfolgt z.B. über die Anfangsbuchstaben der Nachnamen. Eine leicht ungleichmäßige Verteilung ist dabei nicht problematisch. Die Diskussionsrunden finden in 10er Breakout Räumen statt, sodass ungefähr jedes Fallbeispiel pro 10er-Gruppe vertreten ist.
Vorbereitung der Teilnehmenden
Die Teilnehmenden bearbeiten im Vorfeld Aufgaben, die in einem Forum zusammengestellt sind. Das Forum besteht aus fünf gesonderten Themenabschnitten:
- Was ist Verantwortung? - eigene Gedanken & Redebeitrag anhören
- Hans-Ulrich Kammeyer zu Verantwortung im Ingenieursberuf - lesen und Fragen beantworten
- Fallbeispiel: Verantwortungskonflikt aus der Berufspraxis - lesen und Notizen machen
- Fallbeispiel: selbsterlebter Verantwortungskonflikt - einen Konflikt aus der eigenen Berufspraxis aufschreiben
- Die zwei Fallbeispiele sind die inhaltliche Grundlage für die Diskussionsrunden während des Seminars.
Nachbereitung der Teilnehmenden
Die Teilnehmenden lesen den Ethik-Kodex des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI), reflektieren diesen und stellen einen Bezug zu den Fallbeispielen her.
Ablaufplan
00. Minute - Begrüßung und gemeinsamer Start in der Großgruppe
Hinweise
Die Moderation stellt den Ablaufplan vor. Die Moderation erstellt 10er Breakout-Räume für die Diskussionsrunden.
Folien
Ablauf der heutigen Veranstaltung
- 10.00 - Begrüßung & Ankündigungen
- 10.05 - Was ist Verantwortung?
- 10.10 - Diskussionsrunde 1 - gelesene Fallbeispiele
- 10.35 - Diskussionsrunde 2 - eigene Fallbeispiele
- 11.00 - Abschluss in den Kleingruppen
5. Minute - Was ist Verantwortung?
Hinweise
Die Moderation leitet in das Thema ein, indem sie Teile des E-Learnings aufgreift und die Sitzung in den Gesamtkontext des Seminars einordnet, z.B. ein Verweis auf die Auftaktsitzung, in der die Teilnehmenden eine Mindmap zu Verantwortung erstellt haben.
Folien
Folgende Aspekte können beispielsweise aufgegriffen werden:
- Was ist Verantwortung? - Sicht der Teilnehmenden
- Zusammenfassende Folie, die die Antworten der Teilnehmenden aus dem E-Learning wiedergibt, z.B. als Wordcloud oder einzelne Zitate herausstellen, die für gewisse Grundhaltungen stehen. Hinweis: Möglichst viel Abwechslung in der * Auswertung innerhalb einer Sitzung und zwischen den einzelnen Sitzungen herstellen.
Welche Verantwortung hat ein_e Ingenieur_in? - Sicht der Teilnehmenden
Zusammenfassende Folie, die die Antworten der Teilnehmenden aus dem E-Learning wiedergibt, z.B. als Wordcloud oder einzelne Zitate herausstellen, die für gewisse Grundhaltungen stehen. Hinweis: Möglichst viel Abwechslung in der Auswertung innerhalb einer Sitzung und zwischen den einzelnen Sitzungen herstellen.
Welche Werte sind wichtig im Bezug auf den Ingenieursberuf? - Sicht der Teilnehmenden
Zusammenfassende Folie, die die Antworten der Teilnehmenden aus dem E-Learning wiedergibt, z.B. als Wordcloud oder einzelne Zitate herausstellen, die für gewisse Grundhaltungen stehen. Hinweis: Möglichst viel Abwechslung in der Auswertung innerhalb einer Sitzung und zwischen den einzelnen Sitzungen herstellen.
Ist Technik neutral? - Sicht der Teilnehmenden
Zusammenfassende Folie, die die Antworten der Teilnehmenden aus dem E-Learning wiedergibt, z.B. als Wordcloud oder einzelne Zitate herausstellen, die für gewisse Grundhaltungen stehen. Hinweis: Möglichst viel Abwechslung in der Auswertung innerhalb einer Sitzung und zwischen den einzelnen Sitzungen herstellen.
Ambivalenz von Technik bei Hans Jonas und Hans Ulrich Kammeyer
Nicht nur wenn Technik böswillig, d.h. für böse Zwecke, missbraucht wird, sondern selbst wenn sie gutwillig für ihre eigentlichen und höchst legitimen Zwecke eingesetzt wird, hat sie eine bedrohliche Seite an sich, die langfristig das letzte Wort haben wird. - Hans Jonas
Um mit der technischen Illusion provisorisch fertig zu werden, kann man Jacques Elluls Formulierung annehmen: Die Technik ist ambivalent. Das bedeutet, dass sie gleichzeitig gut und schlecht ist; die gleiche technische Handlung ist nicht – je nach der Natur der Umstände – positiv oder negativ: Sie ist stets positiv und negativ zugleich, weil sie die Gesamtheit des menschlichen Wesens, das niemals ausschließlich gut oder schlecht ist, in Anspruch nimmt. - Hans Ulrich Kammeyer
10. Minute - 1. Diskussionsrunde zu gelesenen Fallbeispielen
Hinweise
Die Teilnehmenden lesen in Vorbereitung auf die Sitzung die zugeteilten Fallbeispiele. Die Moderation stellt den Arbeitsauftrag für die 10er Kleingruppen vor und weist zusätzlich auf die Diskussionsregeln sowie auf die Selbstständigkeit der Kleingruppe hin. Die Teilnehmenden arbeiten anschließend eigenständig in 10er Gruppen. Die Moderation führt das Werkzeug Einmachglas des Einzelnen ein mit dem Hinweis, dass der Zusammenschluss in Netzwerken mit anderen helfen kann, Verantwortungskonflikte zu lösen. Nach 25 Minuten Diskussionszeit treffen sich alle wieder in der Großgruppe.
Folien
Hinweise zur Gesprächs-/Diskussionskultur
- Redemodus: eine Person beginnt zu sprechen und bestimmt dann die nächste Person
- wenn ihr etwas sagen wollt, meldet euch
- kurz fassen und nur wenige Punkte klar benennen
- mit Interesse hören, was die anderen zu sagen haben
Diskussion der zugeteilten Fallbeispiele - Kleingruppenarbeit - 25 min
- Stellt euch reihum die gelesenen Fallbeispiele vor
- Haben mehrere Personen dasselbe gelesen, beginnt eine Person und die anderen ergänzen
- Diskutiert die Fallbeispiele auf folgende Fragestellungen:
- Welche Werte spielen eine Rolle und in welchem Verhältnis stehen sie?
- Welche Verantwortungskonflikte entstehen?
- Welche Maßnahmen und Probleme liegen vor?
- Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich zwischen den Fallbeispielen festellen?
Einmachglas des Einzelnen
- Allein machen sie dich ein.
- - Ton Steine Scherben
Die Handlungsmöglichkeiten von Einzelnen sind stark beschränkt, aber Einzelne haben immer die
Möglichkeit sich mit anderen zusammenzuschließen - dann ist es kein Einzelinteresse mehr, sondern das eigene Anliegen wird langsam zu einer Frage des Allgemeinwohls. Zu zweit, dritt, hundert oder tausend macht es nicht nur mehr Spaß, sondern man unterstützt und motiviert sich gegenseitig, um auch Hängepartien zu überstehen.
35. Minute - 2. Diskussionsrunde zu den selbsterlebten Fallbeispielen
Hinweise
Die Teilnehmenden schreiben in Vorbereitung auf die Sitzung ein selbsterlebtes Fallbeispiel aus ihrer eigenen Berufspraxis auf. Die Moderation stellt den Arbeitsauftrag der 10er Kleingruppenarbeit vor und weist zusätzlich auf die Diskussionsregeln sowie auf die Selbstständigkeit der Kleingruppe hin. Für gesteigertes Vertrauen beim Besprechen der persönlichen Konflikte bleiben die Gruppen aus der ersten Diskussionsrunde bestehen. Die Moderation stellt die Aufgaben zur Nachbereitung vor und verabschiedet die Großgruppe. Die Teilnehmenden arbeiten anschließend eigenständig in 10er Gruppen und führen den Abschluss der Sitzung eigenständig durch. Durch das offene Ende, können die Studierenden selbst den Endpunkt ihrer Diskussion bestimmen und bei Bedarf sich über aufgekommene Punkte weitergehend austauschen.
Folien
Diskussion der selbsterlebten Fallbeispiele - Gruppenarbeit - 25 min
- Stellt euch reihum eure eigenen Fallbeispiele vor
- Diskutiert die Fallbeispiele auf folgende Fragestellungen:
- Welche Werte stehen im Konflikt zueinander?
- Wie seid ihr mit dem Konflikt umgegangen? Konnte er gelöst werden?
- Hattet ihr Unterstützung bzw. hätte Unterstützung eure Situation verändert?
- Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich zwischen den Fallbeispielen festellen?
Nachbereitung
- Lest den Ethik-Kodex des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) und beantwortet folgende Fragen zur Nachbereitung:
- Welche Hilfestellung gibt der Kodex für die Fallbeispiele?
- Verändert sich die Betrachtung der Fallbeispiele durch diese Grundlage?
- Würdest du den Kodex unterschreiben? Siehst du Schwierigkeiten?
Hinweise und Anmerkungen.
Von den Verfasser_innen
Grundbaustein in Berlin - erfolgreich mit 120 Teilnehmenden in 10er Gruppen getestet. Für intensiveren Austausch und größeres Vertrauen, hat es sich bewährt die 10er Gruppen für die zweite Diskussionsrunde nicht zu durchmischen. Der Baustein kann als 90-minütige Variante durchgeführt werden z.B. durch das Einbinden von externen Expert_innen. In Berlin hat ein ehemaliger Blue Engineering Tutor einen Verantwortungskonflikt (Zuarbeit zu einem Militärprojekt) vorgestellt, den er in seinen ersten Arbeitsjahre erfahren hat und anschließend Fragen der Studierenden beantwortet.
Nach weiteren Durchführungen
Noch ausstehend.
Literaturhinweise und Quellen
Fallbeispiele
- Matthias Maring (Hrsg.) - 2011 - Fallstudien zur Ethik in Wissenschaft, Wirtschaft, Technik und Gesellschaft - Irak-Fall - Kläranlagen-Fall - Reaktormessgeräte-Fall - Großraumbüro-Fall - Kongresshallen-Fall - KIT Scientific Publishing - ISBN 978-3-86644-608-3, Lizenz CC by-nc-nd 3.0
- Klaus Kornwachs - 2015 - Der Konstrukteur und der Kunde - Philosophie für Ingenieure - Ford-Pinto-Fall - Carl Hanser Verlag - ISBN 978-3446442399
Kodex
- Verein Deutscher Ingenieure (VDI) - 2002 - Ethische Grundsätze des Ingenieurberufs - https://www.vdi.de/fileadmin/vdi_de/redakteur/bvs/bv_ruhr_dateien/vdi/VDI_Ethische_Grundsaetze.pdf
Vorbereitung
- Hans Jonas - Verantowrtung neu denken - Redebeitrag - https://www.youtube.com/watch?v=N61nUnsy_bM
- Hans-Ullrich Kammeyer - 2014 - Was ist und wie weit reicht die Verantwortung des Ingenieurs? - Verantwortung von Ingenieurinnen und Ingenieuren - Springer Verlag - ISBN 978-3-658-05530-1
Vorbereitung - Aufgaben - Verantwortung
Hinweis
Die Moderation erstellt ein Forum auf der Moodle Plattform mit jeweils einem neuen Thema für jeden Abschnitt der Vorbereitungseinheit. Es ist darauf zu achten, die Themen bereits im Titel zu nummerieren und die entsprechenden Inhalte (siehe unten) hochzuladen. Die Teilnehmenden bearbeiten die Aufgaben in Reihenfolge der Nummerierung (1-4).
Überblick
Die Vorbereitungseinheit besteht aus fünf Abschnitten:
- Was ist Verantwortung?
- Hans-Ulrich Kammeyer zur Verantwortung im Ingenieursberuf
- Fallbeispiele - Verantwortungskonflikt in der Berufspraxis
- Fallbeispiel - eigener Verantwortungskonflikt
1 - Was ist Verantwortung??
Beantworte folgende zwei Fragen als Antwort auf diesen Forumsbeitrg in jeweils EINEM Satz:
- 1. Was ist Verantwortung für dich persönlich?
- 2. Welche Verantwortung hat ein_e Ingenieur_in aus deiner Sicht
Höre dir nach Beantwortung der Fragen folgenden kurzen Redebeitrag des Soziologen Hans Jonas zum Thema Verantwortung an:
Hans Jonas - Verantwortung neu denken - https://www.youtube.com/watch?v=N61nUnsy_bM
Und zum Mitlesen, Hans Jonas:
"Noch nie gab es zu verantworten was es heute zu verantworten gibt. Sowohl Wissen wie Macht waren zu begrenzt um die entferntere Zukunft in die Voraussicht und gar den Erdkreis in das Bewusstsein der eigenen Kausalität einzubeziehen. Erst die moderne Technik mit der beispiellosen Reichweite ihrer Taten in Raum und Zeit eröffnet diese Horizonte und stellt damit der sittlichen Vernunft ganz neue Aufgaben. Eine davon ist unsere Verantwortung erst einmal neu zu denken. Der Versuch dazu erlegt sich als Pflicht der Verantwortung selbst auf. So erging es mir..."
Weitere Informationen zu Hans Jonas finden sich zum Beispiel auf Wikipedia - http://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Jonas
2. Hans-Ulrich Kammeyer zur Verantwortung im Ingenieurberuf
Lies zuerst den folgenden Text. Du findest du ihn unten nochmal als pdf, falls du ihn herunterladen und ausdrucken möchtest.
Beantworte im Anschluss folgende zwei Fragen (fasse dich kurz!):
- 1. Wie stehst du zur Aussage „Technik ist neutral“?
- 2. Welche Werte findest du wichtig im Bezug auf den Ingenieursberuf?
Hans-Ulrich Kammeyer
- Diplom-Ingenieur, Beratender Ingenieur, Prüfingenieur für Baustatik; Präsident der Ingenieurkammer Niedersachsen, Vizepräsident der Bundesingenieurkammer
Was ist und wie weit reicht die Verantwortung des Ingenieurs?
Die Ambivalenz der Technik nötigt dem Berufsstand weitergehende Gedanken als bisher über sein Verhältnis zum Fortschritt ab
Was ist Technik? Was ist Moral? Kann es moralische Grenzen zwischen Technik und Fortschritt geben? Wenn Technik ein Naturgesetz darstellt, also genauso natürlich ist wie Blatt oder Blume, dann müssen die Ingenieure, die Technik generieren und anwenden, ganz neue Fragen an ihr Tun und Lassen stellen. Einen Versuch, den Ingenieuren für solche Frage ein Fundament zu legen, ihnen eine Richtung für Antworten zu weisen, hat der Autor des folgenden Beitrages unternommen.
Ich möchte versuchen, die Verantwortung zu erläutern, die wir Ingenieurinnen und Ingenieure im Bewusstsein unseres Berufes und seiner Ausübung haben. Wie sieht es aus mit Selbstständigkeit und Freiberuflichkeit? Mit freischaffenden Ingenieurinnen und Ingenieuren? Viele unter uns – auch viele Kolleginnen und Kollegen – können zwischen einem Selbstständigen, einem Freischaffenden und einem Freiberufler nicht unterscheiden. Ich selbst bin Beratender Ingenieur – also eigentlich alles drei in einem. Zuerst bin ich freischaffender Ingenieur – selbstständig bin ich auch, aber das sind neben mir viele Handwerker, Kaufleute und Firmeninhaber aller Art.
Und Freiberufler?
Bin ich als Ingenieur Freiberufler?
Für die Freiberuflichkeit muss man nicht selbstständig sein, aber in seinen beruflichen Entscheidungen eigenverantwortlich – was für den freischaffenden Ingenieur selbstverständlich ist – aber was gilt für alle anderen (auch angestellten) Ingenieure? Ärzte sind immer Freiberufler, auch dann, wenn sie angestellt sind. Aber ist man das auch als Ingenieur? Privatrechtlich? Strafrechtlich?
Im Gegensatz zu den Ärzten gibt es für den Berufsstand der Ingenieure keine klare Berufsordnung. Nun mag man ja sagen, dass es bei Ingenieuren auch nur um Technik gehe, nicht um Menschen. Macht dies einen Unterschied aus? Können wir Mensch und Technik trennen?
Was ist Technik?
Wer nach der Beantwortung solcher Fragen sucht, kommt nicht umhin, sich auch den Fragen nach den Geltungsbedingungen technischer und konstruktiver Errungenschaften und nach ihren Nutzungsbedingungen zu nähern, gleichzeitig die Kriterien für die Intention ihrer Entwicklungen und für ihren Einsatz zu berücksichtigen und darüber hinaus auch die philosophischen Disziplinen und Methodiken einzubeziehen.
Dies führt uns auch zu der Auseinandersetzung mit der Frage, was Technik wert ist und welche Daseinsberechtigung sie hat.
Die Evolution der Technik ist verbunden mit der Evolution des Menschen. Den Herausforderungen, denen die Menschheit im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte ausgesetzt war, ausgesetzt ist und immer auch ausgesetzt sein wird, begegnet sie durch technische Entwicklungen. Das Verlangen des Menschen nach Überwindung des Magischen und Wunderbaren brachte ihm den Fortschritt der Technik, wie wir ihn heute kennen.
Dass sich der Mensch mit und wegen seiner technischen Erfindungen und Entwicklungen ungewollt auch die eigenen Lebensgrundlagen entzieht und zur Bedrohung seines eigenen Fortbestehens geworden ist, hat uns die Historie des 20. Jahrhunderts deutlich gezeigt. Die als technisch-wissenschaftlicher Fortschritt gefeierte Fähigkeit der Kernspaltung lehrte die Menschheit mit dem Abwurf der ersten Atombombe auch das Fürchten und führte sie an die moralischen Grenzen der Vereinbarkeit von Technik und Fortschritt. Wo die Menschheit im Mittelalter mit Glaube, Hoffnung und Mystik, in religiösen und magischen Antworten den Ausweg aus allgegenwärtigen Bedrohungen, beispielsweise der Pest, suchte, sieht sie sich heute zunehmend der technischen Illusion ausgesetzt. Einer Illusion, die, anders als erwartet, nicht nur positive Effekte nach sich zieht, sondern auch zerstörende und zerstörerische Auswirkungen annimmt (nukleare Überbewaffnung), Ungleichgewichte schafft (übermäßige Macht) sowie moralische Aspekte und das menschliche Mitgefühl außer Kraft setzen und im verkehrten Sinne Erfinder zu Opfern werden lässt, wenn wir nur an Einstein, Bohr, Oppenheimer oder an Roosevelt und Truman denken (die Urheber der ersten Atombombe). Das Beispiel der Kernphysik und der Herstellung der Atombombe beweist uns dies immer wieder. Wie aber ist Technik nun zu bewerten? Ist Technik grundsätzlich positiv? Das hat man lange so gesehen. Ein Beispiel der feierlichen Verkündung dieser zu Grabe getragenen Ideologie kann im Bericht „Technologie, Beschäftigung, Wachstum“ exhumiert werden, der am 5. Juni 1982 anlässlich der Gipfelkonferenz von Versailles von François Mitterrand den Staatschefs des Westens präsentiert wurde. Darin wird andächtig das produktivistische Glaubensbekenntnis wiederholt, wonach die Elektronik und Biotechnik zugleich die Probleme der Inflation, der Arbeitslosigkeit, des Missverhältnisses zwischen Nord und Süd und selbst der existenziellen inneren Unruhe lösen würden.
Dagegen hat sich nun angesichts dieser produktivistischen Weltanschauung eine gegensätzliche Ideologie gebildet, nämlich die Ideologie der Wachstumsverweigerung, die grundsätzlich behauptet, die Technik sei schlecht.
Angesichts der offenbaren Paradoxien der Technik, die zugleich gut und schlecht, positiv und negativ ist, nötig und schädlich, tun die Produktivisten und die Wachstumsverweigerer nichts anderes, als dieses Paradoxon aus dem Weg zu räumen, indem sie die Hälfte der Realität vernachlässigen.
Gegenüber diesen beiden extremen Standpunkten glauben einige, dem Dilemma, wie es jedes Paradox verursacht, entrinnen zu können, indem sie behaupten, die Technik sei neutral, und indem sie so tun, als sei sie gut. Melvin Kranzberg hat alle diese Auffassungen für falsch erklärt. Er sagt: „Die Technik ist weder positiv, noch negativ, noch neutral.“ Dieses Gesetz verwirft die grob vereinfachenden Schemata der positiven sowie der negativen Technik und widersteht der natürlichen Versuchung, daraus den Schluss zu ziehen, sie sei neutral.
Aber die sogenannte Neutralität der Technik stellt heutzutage noch den zuverlässigsten ideologischen Unterbau der technischen Illusion dar. Die These der Neutralität beruht dem Anschein nach auf einer Überlegung, die gesunden Menschenverstand verrät. Wenn die Technik weder gut noch schlecht ist, dann scheint es, sie müsse infolgedessen neutral sein, und alles Übrige hinge von dem Gebrauch ab, der von ihr gemacht wird. Nun führt aber die Menschheit unaufhörlich technische Neuerungen ein, so, als handle es sich um ein Naturgesetz. Der Mensch stellt mit der gleichen natürlichen Unschuld Maschinen her, die Atombombe inbegriffen, mit der ein Vogel sein Nest baut oder ein Biber seinen Damm.
Die Hypothese der ethischen Neutralität verweist die Technik in die Welt der Materie und die Ethik in die Welt der abstrakten Spekulation.
Dies deckt natürlich die ganze Gefahr der vorgegebenen Neutralität der Technik und sogenannten Unschuld der Techniker auf. Die Tatsache, dass ein Wernher von Braun den Vereinigten Staaten sein Mitwirken zur Verfügung gestellt hat, rechtfertigt seine Zusammenarbeit mit den Nazis nicht. Eine Rakete in White Sands herzustellen, ist nicht moralischer, als dies in Peenemünde zu tun, da es für das Menschengeschlecht nicht weniger gefährlich ist. Es ist auch nicht moralischer, eine Rakete zur Erforschung des Mondes als eine Rakete für militärische Zwecke herzustellen, weil man in beiden Fällen an der gleichen Technik arbeitet, von der hinterher von irgendwem zu irgendeinem Zweck Gebrauch gemacht werden kann.
Ist also Technik weder neutral, noch positiv, noch negativ, dann muss die Frage nach ihrer tatsächlichen Wesensart aufkommen.
Ich habe schon darauf hingewiesen, dass wir uns in einem Paradoxon befinden, das man nicht so ohne weiteres auflösen kann.
Der Wert eines technischen Gegenstands ist nicht bestimmt. Die Handhabung ein und desselben Messers, je nachdem, ob es zum Brotschneiden oder zur Ermordung eines Menschen benutzt wird, nimmt eine andersartige Bedeutung an. Diese triviale Tatsache gestattet dem Messerfabrikanten nicht, zu entscheiden, ob seine Tätigkeit zulässig sei; sie verleitet ihn zu der Annahme, sein Beruf sei neutral. Nun ist er dies jedoch nicht: Der mit einem Messer bewaffnete Mensch ist nicht mehr derselbe wie der Unbewaffnete; ob er gut oder schlecht handelt, hat ein schwerer wiegendes Gewicht. Jedem Handeln wohnt eine Schwere inne, die ihm eine weitreichende Wirkung verleiht.
Um mit der technischen Illusion provisorisch fertig zu werden, kann man Jacques Elluls Formulierung annehmen: Die Technik ist ambivalent. Das bedeutet, dass sie gleichzeitig gut und schlecht ist; die gleiche technische Handlung ist nicht – je nach der Natur der Umstände – positiv oder negativ: Sie ist stets positiv und negativ zugleich, weil sie die Gesamtheit des menschlichen Wesens, das niemals ausschließlich gut oder schlecht ist, in Anspruch nimmt. Diese Formulierung bleibt selbst über die bewusste Absicht des Menschen hinaus gültig. Die besten Absichten der Welt genügen nicht, um einem technischen Akt einen positiven Wert zu verleihen, wie uns der Fall der ersten Atombombe gezeigt hat.
Die Technik ist nicht nur ambivalent, sondern auch mehrdeutig. Selbst wenn man im Vorhinein weiß, dass sie zugleich gut und schlecht ist, ist es unmöglich zu erraten, welche Anwendungen sich als positiv und welche als negativ erweisen werden.
1955 bewies das gemeinsame Gefühl hinsichtlich der Kernphysik eine ziemlich große Meinung Naivität. Man nahm an, dass die Atombombe die schlechte Anwendung darstellt, die Kernkraftwerke dagegen die gute, da sie eine unerschöpfliche Energiequelle darstellen würde, billig und sauber. Die militärische Anwendung war natürlich schlecht, die pazifistische zwangsläufig gut.
Die Folge der Ereignisse hat gezeigt, dass diese Wertschätzung grundfalsch war. Tatsächlich hat die Atombombe den Ausbruch eines Krieges zwischen der westlichen und der kommunistischen Welt verhindert. Dagegen hat die schlimme Katastrophe von Tschernobyl die Erzeugung nuklearer elektrischer Energie in einem Maße in Verruf gebracht, dass sie hier bei uns praktisch aufgegeben wurde: Die Kernkraftwerke wurden von nun an als das absolute Übel angesehen, ein unkalkulierbares Risiko, auch unter Beteiligung menschlichen Versagens.
Indessen wird man sich bei nochmaligem Nachdenken daran erinnern, dass Tschernobyl letztlich aber mit zum politischen Zusammenbruch der Sowjetmacht geführt hat.
Wir müssen uns also von dem allgemeinen Vorurteil trennen, der Mensch sei angesichts der Technik souverän und unveränderlich. Souverän in dem Sinne, dass er nach Belieben den Lauf der technischen Entwicklung durch Beschlüsse, Entscheidungen oder Ablehnungen bestimmen könnte. Unveränderlich in dem Sinne, dass er sich durch Bezug auf ein System von Werten bestimmen könnte, die angeboren und permanent sind, was man etwa natürliche Moral nennt.
Die Wirklichkeit ist sehr viel beunruhigender. Jacques Ellul hat klar gezeigt, dass Technik ein autonomes, einheitliches, allgemeines und totalitäres System darstelle, angesichts dessen der Mensch allein oder in der Gemeinschaft gegenwärtig schutzlos und ohne Hilfsmittel zugleich dasteht. Er kann den Fortschritt der Technik in dem einen oder anderen Punkt ein wenig beschleunigen, aufhalten kann er ihn jedoch nicht.
Nehmen wir ein alltägliches Beispiel: Ein Ingenieur legt dem Direktor einer Computerfirma einen Vorschlag für einen neuen Computer vor. Dieser beruht auf den Grundlagen der Optoelektronik, welche die Herstellung eines tausendfach schnelleren Gerätes in einem tausendfach kleineren Volumen zu einem tausendfach geringeren Preis erlauben würde – kurz, es handelt sich hierbei um die Herstellung eines milliardenfach leistungsfähigeren Computers, verglichen mit konventionellen Geräten. Lässt sich dieses Projekt mit den verfügbaren Mitteln verwirklichen, bleibt dem Direktor wohl kaum die Wahl, es abzulehnen. Lässt er die Chance an sich vorübergehen, dann wird eine Firma der Konkurrenz sie aufgreifen und all diejenigen, die den Fortschritt verweigert haben, vom Markt ausschließen. Nimmt er das Projekt an, dann zwingt dieser Direktor die Direktoren der konkurrierenden Firmen, ebenso zu handeln wie er selbst.
Mit einem Wort: Kein Firmenleiter hat wirklich die Freiheit einer prinzipiellen Wahl.
Das heißt: Jeder technische Fortschritt, der sich im Bereich des Möglichen befindet, wird zwangsläufig.
Man darf also den Verdacht hegen, dass der Fortschritt der Technik ein automatischer Vorgang ist, der seine eigene Ursache darstellt, und der demnach neben seinem eigenen Anwachsen keine andere Zweckbestimmung besitzt.
Wie können wir eine Gebrauchsanweisung für die Technik schreiben angesichts der Tatsache, dass wir uns bereits bei der Formulierung der Gebrauchsanweisung für ein einfaches technisches Gerät wie ein Telefon so schwer tun?
Und dennoch brauchen wir die Auseinandersetzung im Umgang mit Technik. Hierin liegt die Verantwortung von uns allen, insbesondere von denen, die diese Entwicklungen vorantreiben.
Diese Verantwortung führt auch uns Ingenieure zu einer vertieften Betrachtung der Technik – insbesondere unter moralischen und ethischen Gesichtspunkten. Schließlich geht alle menschliche Kultur in ihren Ursprüngen auf Technik zurück. Die Geschichte der menschlichen Kultur und Zivilisation ist immer auch Geschichte der Technik.
Kultur manifestiert sich nicht nur in den elementarsten Künsten wie Malerei, Plastik und Musik. Auch die Ingenieurkunst ist Spiegel des Kulturzustandes der Gesellschaft. Technik und Kunst haben den Menschen von Anbeginn begleitet. Sie haben die gleiche Wurzel: die schöpferische, gestaltende Phantasie der Menschen. Die Ingenieurkunst ist (wie auch die Heilkunst) eine der ältesten nützlichen Künste. Das Ingenium, die geistig-schöpferische Kraft, war schon immer Grundlage und Antrieb dieser Kunst. Die beachtliche Technologie-Beschleunigung ist dabei, das ethische Urteilsvermögen zu überholen. Pluralisierung und Globalisierung ethischer und moralischer Werte zusammen mit dem Blackbox-Charakter der Technik verunsichern den Menschen bis zur Lebensangst. Die zunehmende Differenz zwischen Expertenwissen und Laienwissen erfordert Vertrauen – insbesondere auch in die ethische Integrität des Ingenieurberufes.
Ethik ist verbunden mit Technik, mit Wissenschaft und Wirtschaft. Gemeinhin wird Ethik definiert als Theoretisierung von Moral und die Moral als Regulativ des menschlichen Zusammenlebens. Ethik und Moral scheinen dabei der Preis zu sein, den moderne Industriestaaten zu zahlen bereit sind. Erst ernsthafte Krisen, wie wir sie jetzt in der Finanz- und Wirtschaftskrise wieder erleben, weisen der Menschheit die Grenzen von Ignoranz und Rücksichtslosigkeit auf. Damit beweist sich die geschichtliche Erfahrung – sobald moralische Selbstverständlichkeit entschwindet, regt sich Ethikbedarf. Die Zweifler werden mehr, und auch in unseren Industriestaaten gewinnen Ansprüche an Moral und Ethik, an Anstand und damit an Wohlergehen für alle neue Tragweite.
Uns Ingenieuren sind die Aspekte von Ethik und Moral in Ausübung unseres Berufes täglich allgegenwärtig. Wir entscheiden über Entwicklungen, Planungen und Berechnungen, und damit über die Anwendung und Sicherheit von Maschinen und von Bauwerken – eine verantwortungsvolle Aufgabe, wie nicht nur wir finden, und eine Herausforderung, der wir uns gerne stellen. Unter Berücksichtigung des technisch Machbaren finden Grundsätze einer (universalen) Technik-Ethik in Forschung und Lehre wie in der Praxis bei Ingenieurinnen und Ingenieuren globale Zustimmung. Die Ingenieure Europas haben sie in eigener Form in der Dresdner Deklaration anlässlich des Europäischen Ingenieurkammertages 1998 in Dresden längst beschlossen. Ich zitiere Ihnen gerne aus diesem Kodex die folgenden Punkte, denen sich die Ingenieurinnen und Ingenieure unter anderem verschrieben haben:
- Europas Ingenieure erbringen ihr Werk in Verantwortung vor der Menschheit, der Umwelt und sich selbst. Ihr Schaffen dient dem Wohl und der Fortentwicklung der Gesellschaft in diesem Jahrtausend.
- Europas Ingenieure achten die Leistung ihrer Berufskollegen. Sie messen ihre Kräfte in einem fairen Wettbewerb der Qualität und Effizienz zum Vorteil des Verbrauchers und zum Schutz der Umwelt.
- Europas Ingenieure nehmen in der Gegenwart und in der Zukunft aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft teil. Durch Innovation und Kreativität fördern sie Ingenieurkunst und Baukultur. Sie geben sich eine Ordnung, die ihren hohen ethischen Ansprüchen genügt.
Diese Grundsätze, angemessen auch rechtlich auf die Basis einer Berufsordnung für Ingenieure zu stellen, bleibt unser Ziel. Uns unserer besonderen Verantwortung gegenüber der Gesamtheit der Gesellschaft, der Menschheit und der Umwelt bewusst, denken wir Ingenieure in diesem Zusammenhang auch über einen Berufseid beziehungsweise ein Gelöbnis für unseren Berufsstand nach (wie bei den Ärzten der hippokratische Eid). In der hohen Verantwortung, in der Ingenieure stehen, ist ihnen auch die eigenverantwortliche Entscheidungsbefugnis einzuräumen – gemäß einer wirklichen Freiberuflichkeit für möglichst alle Ingenieurinnen und Ingenieure! In diesem Sinne kann allein die Umsetzung einer Berufsordnung das bewusste eigenverantwortliche Handeln der Ingenieurinnen und Ingenieure zufriedenstellend regeln.
Literatur:
- Neirynck, J.: Der göttliche Ingenieur – die Evolution der Technik; expert verlag GmbH, Renningen
- Wendeling-Schröder, U., Meihorst, W., Liedtke, R.: Der Ingenieur-Eid – ethische, naturphilosophische, juristische Perspektiven; scientia nova, Brette
- Zimmerli, Chr.: Ethik in der Praxis – Wege zur Realisierung einer Technikethik; Lutherisches Verlagshaus, Hannover
3. Fallbeispiele - Verantwortungskonflikte aus der Berufspraxis
Während des Seminars werdet ihr in Kleingruppen Fallbeispiele besprechen, die Verantwortungskonflikte von Ingenieur_innen beschreiben. Es gibt 6 verschiedene Fallbeispiele. Welches du lesen sollst, leitet sich aus dem Anfangsbuchstaben deines Nachnamens ab. Nimm dir Zeit für das Fallbeispiel, du wirst es im Seminar anderen Studierenden vorstellen, die es noch nicht kennen.
Arbeite folgende Punkte heraus:
- Welche Werte spielen eine Rolle und in welchem Verhältnis stehen sie?
- Welche Verantwortungskonflikte entstehen?
- Welche Maßnahmen und Probleme liegen vor?
Fallbeispiele
- Fallbeispiele als PDF einfügen (an Teilnehmendenzahl anpassen und auf die Studierenden verteilen) -
1) Kongresshallen-Fall
Der promovierte Naturwissenschaftler und Ingenieur C. arbeitet in einem bedeutenden Bauunternehmen als Entwicklungschef für Spannbeton-Konstruktionen, die besondere Sicherheitsvorkehrungen bei Errichtung und Wartung erfordern. Da in der Fachwelt bereits einzelne Schadensfälle bekannt geworden sind, drängt C. in seinem Unternehmen darauf, bei der Errichtung einer neuen Flugzeughalle geeignete Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen. Im Hinblick auf entstehende Mehrkosten wird dieser Vorschlag abgelehnt.
Tatsächlich treten nach einiger Zeit am Tragwerk der Halle Schäden auf, die erhebliche Gefahren für Menschenleben und Sachwerte heraufbeschwören. Diese Gefahren lassen sich zwar durch umgehende Reparatur beheben, doch kommt es zu Auseinandersetzungen über die Schadensursache, die auf höchster Ebene geführt werden. In diesen Verhandlungen erinnert C. die Geschäftsleitung an seine rechtzeitigen Warnungen, die ein sorgfältigeres Vorgehen gefordert hatten, aber nicht beachtet worden waren.
Seit diesem Vorfall bestehen Spannungen zwischen der Geschäftsführung und C., die das Arbeitsklima spürbar belasten. Gleichwohl macht C. die Geschäftsleitung in den Jahren 1973 und 1974 mehrfach mündlich und schriftlich darauf aufmerksam, dass bei der Berliner Kongresshalle, die von seinem Unternehmen in Arbeitsgemeinschaft mitgebaut worden war, ebenfalls ein größerer Schadensfall zu befürchten sei, und er legt konkrete Vorschläge vor, den möglichen Schaden mit vorbeugenden Maßnahmen zu verhindern. Wiederum lehnt es die Geschäftsleitung ab, diesen Vorschlägen zu folgen, und verstärkt ihre Bemühungen, C. zum Ausscheiden aus dem Unternehmen zu bewegen. „In dieser Situation wäre mir nur noch der Weg zum Staatsanwalt geblieben. Darin sehe ich das Problem des angestellten Wissenschaftlers“.
Aber auch ohne dass C. einen solchen Schritt unternommen hätte, wird er schließlich nach langjähriger Tätigkeit „unter Verzicht auf alle Ehren für seine nachweislichen Verdienste um den Konzern, aber versehen mit einer großzügigen finanziellen Regelung, zwangsweise mittels eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs in den vorzeitigen Ruhestand entlassen“.
1980 tritt der von C. vorausgesagte Schadensfall tatsächlich ein, wobei, neben einem Sachschaden in Millionenhöhe, eine Person zu Tode kommt und mehrere Personen verletzt werden. In den nachfolgenden Untersuchungen stellt C. seine detaillierten Fachkenntnisse den damit befassten Institutionen zur Verfügung. Nach Abschluss der Untersuchung wird der Schadensfall gegenüber der Öffentlichkeit mit technischem Versagen erklärt.
In dieser Zeit bespricht sich C. vertraulich mit befreundeten Fachkollegen, die ihn aber zu weitergehenden Schritten nicht ermuntern, da der Schadensfall damit nicht rückgängig zu machen wäre. Auch persönliche und sachliche Gründe sprechen dagegen: „Es ist nicht jedermanns Sache, als ein Michael Kohlhaas der Hochtechnologie in die Geschichte einzugehen. Mit den Medien nicht unerfahren, will ich nicht, dass diese aus meinem Fall Folgerungen herleiten, die dieser Konstruktionsweise schaden“. „Andererseits möchte ich die [...] mitzuteilenden Umstände nicht in Vergessenheit geraten lassen“. „Später habe ich viel darüber nachgedacht, ob mein Verhalten in den wichtigen Fällen [...] richtig gewesen ist. Und ich habe überlegt, wie ich mich meinem Gewissen gegenüber noch anders hätte verhalten können“.
Heute ist C. der Ansicht, dass in der damaligen Situation nur eine Ethik-Kommission hätte helfen können, die Schadensfälle zu verhüten. Der bestinformierte Fachmann, in der Regel der für ein Projekt verantwortliche Ingenieur, müsste sich vertraulich, gegebenenfalls sogar anonym, an eine solche Institution wenden können, damit, ohne dass der betreffende
Ingenieur in berufliche Schwierigkeiten gerät, die erforderlichen Vorkehrungen rechtzeitig und wirksam getroffen würden.
Als 1991 der Präsident der Bundesanstalt für Materialprüfung auf einem Kongress des Vereins Deutscher Ingenieure in seinem Vortrag den Einsturz des Kongresshallen-Dachs aufgreift und erklärt, äußere Anzeichen für das drohende Versagen wären „durchaus als solche erkannt worden, wenn ein sachkundiger Beobachter bewusst nach ihnen gesucht hätte“, schildert C. ihm in einem offenen Brief die tatsächlichen Hintergründe; der Empfänger beantwortet diese Schilderung mit der Erklärung, dass er dazu nicht Stellung nehmen könne.
Wenig später will C. von einem Personalberater, der allwöchentlich in den VDI-Nachrichten Fragen zur Ingenieurkarriere beantwortet, wissen, wie er sich in jener Situation hätte verhalten sollen. „In Extremsituationen wie jener“, lautet die Antwort, „lässt unser derzeitiges Führungssystem den Angestellten mit seinem Problem allein. Er steckt in einer echten Zwickmühle“. Allein mit einem Firmenwechsel und einem dabei ausgeübten diskreten Druck auf den bisherigen Arbeitgeber, so heißt es dann weiter, könne man eventuell dessen Haltung ändern, ohne die eigene Karriere zu gefährden; ob dieser Weg im konkreten Fall gangbar gewesen wäre, wird offen gelassen.
Dieser Konflikt besteht darin, dass fachlich gebotene zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen gegen den Vorrang der Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte nicht durchzusetzen sind. Obwohl sich der betreffende Ingenieur mit großem persönlichen Engagement firmenintern für die Schadensverhütung einsetzt, werden seine Bedenken nicht berücksichtigt. Überdies muss der Ingenieur einen schwerwiegenden Nachteil für seine berufliche Karriere hinnehmen und kann trotzdem den vorhersehbaren Schaden nicht verhindern.
Eine Arbeitsverweigerung wäre in diesem Fall überhaupt nicht in Betracht gekommen, weil ja nur zusätzliche Aktivitäten den Konflikt hätten beheben können. Einzig die Alarmierung der Öffentlichkeit hätte etwas bewirken können, doch C. kann sich aus Rücksicht auf das Ansehen seines Fachs und die Verbundenheit mit seinen Fachkollegen lange Zeit nicht dazu durchringen. Überdies: „Wer als leitender Angestellter seinen Arbeitgeber bei der Staatsanwaltschaft anzeigt, ist nicht nur in diesem Unternehmen ganz schnell draußen, ihn nimmt auch ein anderes kaum wieder auf“.
Als langfristige Folge jener Ereignisse, die den Betroffenen noch immer belasten, ist festzuhalten, dass er sich schließlich doch an die Fachöffentlichkeit wendet und heute für institutionelle Lösungen eintritt, die, wenn es sie seinerzeit schon gegeben hätte, ihn in seinem Gewissenskonflikt hätten unterstützen können.
2) Kläranlagen-Fall
Der Diplomingenieur D. arbeitet seit Anfang der 1970er Jahre bei einem großen Unternehmen der chemischen Industrie als Spezialist für die Reinigung von Industrieabwässern. Unter anderem wirkt er an der Projektierung einer werkseigenen Kläranlage mit. D. hält die von der Betriebsleitung favorisierte konventionelle, einstufige Kläranlage für unzulänglich und interveniert mehrfach zugunsten einer mehrstufigen biologischen Anlage. Gleichwohl wird die Kläranlage 1975 in der ursprünglich geplanten Form in Betrieb genommen.
1982 legt D. seinen Vorgesetzten eine Studie vor, die nachweist, dass eine der Kläranlage vorgeschaltete Warnanlage, die überraschende Giftstöße rechtzeitig anzeigen soll, in einer Großanlage nicht funktionieren kann. Als es im Mai 1984 in der Kläranlage zu einer empfindlichen Betriebsstörung kommt, stellt sich heraus, dass das von D. beanstandete Warngerät versagt hat; er selbst jedoch wird von einer Dienstbesprechung über den Störfall ausgeschlossen und später in eine andere Abteilung versetzt.
In der Zwischenzeit hat D. über den Vergleich von Kläranlagen-Typen eine Dissertation verfasst, die von einer Technischen Universität angenommen wird. Obwohl ihm schon 1983 von einem Vorgesetzten Fachpublikationen zur Abwasserreinigung verboten worden waren, veröffentlicht er dann doch, ohne eine Genehmigung einzuholen, Auszüge aus seiner Dissertation sowie wissenschaftliche Aufsätze in Fachzeitschriften. 1986 wird ihm fristlos gekündigt, weil er verbotswidrig dienstliche Erkenntnisse publiziert habe.
D. klagt gegen diese Kündigung und erzielt 1989 einen arbeitsrechtlichen Vergleich, in dem die einvernehmliche Kündigung zum 31. Dezember 1986 und eine Abfindungszahlung in Höhe von 100.000 DM an D. vereinbart werden. Als Beratender Ingenieur und als Hochschullehrer hat D. seine berufliche Tätigkeit fortsetzen können.
Auch in diesem Fall werden fachlich begründete Warnungen eines Mitarbeiters von den Vorgesetzten aus wirtschaftlichen Gründen nicht akzeptiert. Das Engagement des Ingenieurs ist so stark, dass er über eine wissenschaftliche Qualifizierung parallel zur Berufsarbeit die Seriosität seiner Bedenken unter Beweis stellt. Als der Ingenieur seine Interventionen im Unternehmen dementsprechend fortsetzt, wird er durch Versetzung in ein anderes Aufgabengebiet kaltgestellt. Als er seine kritischen Einsichten der Fachöffentlichkeit mitteilt, verliert er endgültig seinen Arbeitsplatz.
In den arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen – insgesamt waren es vierzehn Prozesse – hat das Recht auf die Freiheit der wissenschaftlichen Veröffentlichung natürlich eine beträchtliche Rolle gespielt und ist schließlich auch Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde geworden. Diese Beschwerde ist 1988 abgewiesen worden, zum einen, weil sie bestimmten prozeduralen Anforderungen nicht genügt, zum anderen aber auch, weil die Verfassungsrichter folgende erstaunliche Auffassung vertreten: „Die Verpflichtung, vor einer Veröffentlichung die Zustimmung der Beklagten des Ausgangsverfahrens“ (des Arbeitgebers) „einzuholen, unterbindet aber noch nicht das verfassungsrechtlich verbürgte Recht auf Veröffentlichung von Forschungsergebnissen“. Dass die Genehmigungspflicht doch nur Sinn macht, wenn die Genehmigung auch – verfassungswidrig! – verweigert werden kann, und somit eine verfassungswidrige Tendenz in sich selbst besitzt, scheint dem Bundesverfassungsgericht nicht klar geworden zu sein. Dass die Genehmigungspflicht überdies eine vorauseilende Selbstzensur des abhängig beschäftigten Forschers begünstigt und auf diese Weise unmittelbar in die Forschungsfreiheit eingreift, trägt auch nicht gerade zu ihrer Verfassungsverträglichkeit bei.
3) Reaktormessgeräte-Fall
Der Elektronik-Ingenieur H. ist bei einem namhaften Unternehmen des Kernreaktorbaus beschäftigt und entwickelt Messinstrumente und Messsysteme für diese Reaktoren. Als er seine Tätigkeit bei dem Unternehmen aufnimmt, glaubt er an die Sicherheit der Atomenergietechnik und ist davon geradezu fasziniert.
Doch bereits nach einem halben Jahr Arbeitstätigkeit wachsen seine Zweifel an der Zuverlässigkeit der Sicherheitseinrichtungen bei Kernkraftwerken aufgrund konkreter Erfahrungen mit Isoliermaterial und Formveränderungen bei einzelnen Komponenten der Messeinrichtungen. H. äußert seine Sicherheitsbedenken gegenüber der Firmenleitung schriftlich und erbittet ein Gespräch. Dieses Gespräch findet auf allerhöchster Ebene schon einen Tag später statt.
Zunächst äußerst man sich positiv gegenüber seinem Engagement und gibt H. zu verstehen, dass man den Sicherheitsbedenken sofort nachgegangen sei. Es bestehe jedoch kein Grund zur Beunruhigung, da die möglichen Messfehler durch andere Sicherheitssysteme aufgefangen würden. Der Fachmann H. zeigt sich jedoch wenig beeindruckt von dieser Erklärung, und von der Geschäftsleitung gefragt, was er denn „tun würde“, antwortet er: „Alle in Frage kommenden Steckverbindungen überprüfen und austauschen“.
Daraufhin rechnen die Vertreter der Geschäftsleitung vor, welchen Kostenschub eine solche Aktion verursachen würde, ganz zu schweigen davon, dass die Medien eine solche Umtauschaktion in der Öffentlichkeit ausschlachten und dadurch den Geschäften des Unternehmens schaden würden. Vorsorglich droht man H. gerichtliche Schritte für den Fall an, dass er sich mit seinen Bedenken an die Öffentlichkeit wendet. Das weitere Gespräch verläuft ergebnislos.
H. wendet sich daraufhin an den Technischen Überwachungsverein und an die Öffentlichkeit. Das Unternehmen reagiert sofort mit der fristlosen Entlassung von H. und mit einer einstweiligen Verfügung, die eine Geldbuße von einer halben Million DM androht, falls H. weiterhin behauptet, die Sicherheit der Atomkraftwerke sei gefährdet. Bei der Kündigung wird dem Ingenieur von seinen bisherigen Arbeitgebern bedeutet, dass er im näheren Umkreis des Firmensitzes keinen Arbeitsplatz mehr zu suchen brauchte.
Die einstweilige Verfügung hält jedoch der gerichtlichen Überprüfung nicht stand; das Gericht gesteht H. zu, er könne öffentlich erklären, dass Reaktoren des betreffenden Unternehmens extrem gefährdet sind.
H. ist seit seiner Entlassung ein begehrter Referent. Aufgrund seiner „erzwungenen Arbeitspause“ nutzt er jede Gelegenheit, um seine Erkenntnisse mitzuteilen. Falls der von ihm befürchtete große Atomunfall eintreten sollte, will er sich nicht später nachsagen lassen, dass er es gewusst, aber verschwiegen habe. Seine berufliche und wirtschaftliche Zukunft ist völlig offen.
Wiederum besteht der Konflikt darin, dass die Sicherheitsbedenken eines verantwortungsbewussten Ingenieurs von der Unternehmensleitung zurückgewiesen werden, weil diese zusätzlichen Kosten und mögliche Ansehensverluste in der Öffentlichkeit scheut. Da der Betroffene die Flucht in die Öffentlichkeit wagt, wird er mit dem Verlust des Arbeitsplatzes bestraft. Von arbeitsrechtlichen Schritten ist nichts bekannt, doch immerhin kann er vor Gericht die Freiheit der fachlichen Meinungsäußerung erstreiten.
4) Ford Pinto-Fall
Die Ford Motor Company stand Ende der 60er Jahre auf dem amerikanischen Markt in scharfem Wettbewerb mit VW und dem VW Käfer. Um einen dazu analogen Kleinwagen auf den Markt zu werfen, wurde der Ford Pinto übereilt entwickelt; so wurden z.B. die Werkzeugmaschinen für die Produktion parallel zum Bau des Prototyps gebaut. Tests zeigten bereits am Prototyp einen gefährlichen Fehler: Ein Aufprallunfall mit etwas mehr als 40 km/h verursachte das Bersten des Benzintanks und führte zum Brand des Fahrzeugs. Eine vierzig malige Wiederholung des Tests bestätigte das Ergebnis. Als Lösung des Problems wurde von den Ford-Ingenieuren eine Plastikpufferung vorgeschlagen, deren Kosten für Material und Einbau bei $ 11 pro Wagen betragen hätten. Das Management musste über diese Modifikation und deren Kosten entscheiden. Bei der folgenden Kosten-Nutzen- Analyse ging man davon aus, dass ein Menschenleben nach Berechnung des Bundesamts für Sicherheit des Landstraßenverkehrs (National Highway Traffic Safety Administration) versicherungstechnisch damals $ 200 000 im Falle eines Regresses wert war und man schätzte die Zahl der möglichen Todesfälle, Verletzungen und verbrannten Autos sowie deren Kompensationskosten ab (vgl. Tab. 1).
Aus dieser Vergleichsrechnung fällten die Manager die Entscheidung, die Konstruktion zu belassen und den Plastikpuffer nicht einzusetzen. Weitere Versuche der Ingenieure einer Verbesserung stießen auf Widerstand des Managements. Dem damaligen Chef der Ford Company, Lee Iacocca wurde der Spruch nachgesagt: „Safety doesn’t sell“.
Als Hintergrund zur Beurteilung ist es wichtig zu wissen, dass es zur Zeit der Produktion des Pintos auf Bundesebene in den USA noch keine Sicherheitsnormen für Benzintanks gab. Es wurde zwar 1968 ein Sicherheitsgesetz für industrielle Produkte verabschiedet, was Henry Ford als eine Einmischung der Regierung in die inneren Angelegenheiten des freien
Unternehmertums bezeichnete. Die Einführung einer Sicherheitsnorm für Benzintanks war für 1970 geplant, scheiterte aber an der erfolgreichen Lobbyarbeit von Ford ganze acht Jahre lang. In dieser Zeit produzierte Ford 8 Millionen Pintos. Allerdings sprachen sich die Brandunfälle mit den Pintos herum und Ford wurde durch den öffentlichen Druck genötigt, Abhilfe zu schaffen. Heute sind Rückrufaktionen bei Automobilfirmen zwar nicht sehr beliebt, aber sie stellen eine Notwendigkeit für das Image und die Integrität eines Unternehmens dar. Ein Fall wie Pinto würde eine Automobilfirma heute vermutlich durch den hervorgerufenen Boykott der Kunden nicht überleben.
T. war damals im Management bei Ford und mitverantwortlich für die Entscheidung gegen die Plastikpufferung. Seine Bedenken wurde überstimmt und er fand sich damit ab. Doch nach der Häufung der Brandunfälle, meldet sich sein Gewissen erneut. Ihn plagt die Frage, ob er etwas hätte ändern können und wie er sich hätte verhalten sollen.
5) Irak-Fall
Der Inbetriebnahme-Ingenieur L. wird von seiner Firma, einem im Anlagenbau führenden deutschen Unternehmen, im Sommer 1989 nach Bagdad (Irak) geschickt, um in einem Stahlwerk zur Produktion von Baustahl und anderen Qualitäten eine Teilanlage in Betrieb zu nehmen. Er fungiert dort als Baustellenleiter gegenüber dem unmittelbaren Kunden seines Unternehmens, einem deutschen Firmenkonsortium, das die Gesamtanlage konstruiert hatte und die Gesamtbaustellenleitung gegenüber dem Endkunden zu vertreten hat; der Endkunde ist das Nassr State Enterprise for Mechanical Industries, ein Unternehmen des irakischen Staates.
Vor der Reise macht sich L. zunächst keine Gedanken über den eigentlichen Zweck des Stahlwerks, auch wenn er sich aus bestimmten Unterlagen und Äußerungen im Stammhaus schon einiges hätte zusammenreimen können. Auch verdrängt er kritische Fragen aus seinem Bekanntenkreis, teils aus Loyalität seiner Firma gegenüber, teils aus Unsicherheit und Angst hinsichtlich möglicher Folgen für seine Person. schließlich geben die ihm bis dahin zugänglichen Unterlagen keinen konkreten Anlass, am erklärten Zweck der Anlage zu zweifeln. Im Irak eingetroffen, muss L. schon in den ersten Wochen feststellen, dass der Anlagenaufwand, wenn lediglich Baustahl produziert werden sollte, weit übertrieben wäre. Anhand von Aufstellungsplänen, bereits gelieferten Anlagenteilen, Kollegengesprächen und aufgrund des ganzen militärischen Ambiente gewinnt er den Eindruck, dass die Anlage mit Baustahl nichts zu tun hat. Aus diesen Fakten sowie aus Kundenäußerungen und vorgefertigten Mustern muss er schließlich erkennen, dass in diesem Stahlwerk einzig und allein Kanonenrohre aller Kaliber und Bauteile für militärische Kampffahrzeuge hergestellt werden sollen.
L. empfindet, wie sich nach dieser Erkenntnis mehr und mehr sein Gewissen regt. Er führt darüber nächtelange Gespräche mit seinen Arbeitskollegen – bei denen er allerdings wenig Verständnis findet – und lange Telefongespräche mit seinen Angehörigen. Nach einem kurzen Urlaub in Deutschland gelingt es ihm, das Problem trotz seiner täglichen Offensichtlichkeit eine kleine Weile zu verdrängen. Doch dann kommt ihm der Konflikt wieder umso stärker zu Bewusstsein und belastet ihn schließlich derart, dass er zu konzentrierter Ingenieurarbeit nicht mehr in der Lage ist; alle verantwortlichen Arbeiten müssen von seinen Arbeitskollegen übernommen werden, während er fast nur noch das Baustellentagebuch zu führen imstande ist.
In dieser Situation wendet er sich telefonisch an seinen Vorgesetzten in Deutschland und beanstandet, dass der tatsächliche Zweck der Anlage mit dem in seinem Arbeitsvertrag genannten Zweck nichts zu tun habe. Der Vorgesetzte erklärt, die Firma habe lediglich die Teilanlage zu liefern; die Gesamtanlage hätte sie nicht konzipiert und somit auch deren Endzweck nicht zu vertreten. L. bittet um sofortige Ablösung, die ihm mit der Maßgabe zugesagt wird, dass er noch einige Tage bis zu einem bestimmten Zwischenabschluss seiner Arbeit auf der Baustelle verbleibt.
Nach rund viermonatiger Tätigkeit im Irak kehrt er nach Deutschland zurück, um von seinem Vorgesetzten sogleich Vorhaltungen gemacht zu bekommen, in denen das Wort „Arbeitsverweigerung“ fällt. Zwei Wochen später verlangt der Vorgesetzte von L., erneut eine Aufgabe auf der irakischen Baustelle zu übernehmen, da ein erkrankter Kollege abgelöst werden muss. L. lehnt dies ab und antwortet, als er unter Druck gesetzt wird, mit einer fristgerechten Kündigung zum Jahresende.
L. wird aufgefordert, sogleich seinen Arbeitsplatz zu räumen. Der Personalchef des Unternehmens wirft ihm Arbeitsverweigerung vor und deutet die Möglichkeit einer fristlosen Kündigung an, für den Fall, dass keine andere Lösung gefunden werde. L. besteht auf seiner eigenen fristgerechten Kündigung und erklärt (in Kenntnis des kurz zuvor ergangenen Grundsatzurteils im „Ärztefall“), anderenfalls werde er vors Arbeitsgericht gehen.
Auf diesen Hinweis hin lenkt der Personalchef sogleich ein, akzeptiert die fristgerechte Kündigung von L. und bietet die sofortige Beurlaubung unter Fortzahlung sämtlicher Bezüge bis zum Jahresende an. L., der noch einmal belehrt wird, dass er über alle geschäftlichen Obliegenheiten Stillschweigen bewahren müsse, geht darauf ein und scheidet Ende 1989 aus dem Unternehmen aus.
L. sucht durch Bewerbungen eine neue Anstellung. Bei einem Vorstellungsgespräch sagt ihm ein Personalleiter, L. bedeute mit seiner moralischen Einstellung einen Risikofaktor für das Unternehmen; wenn das Unternehmen viel Geld für einen Ingenieur ausgebe, dürfe es wohl auch verlangen, dass dieser in jeder Situation loyal zum Unternehmen stehe. Die betreffende Bewerbung wird ohne Angabe von Gründen abgelehnt.
Nach zweimonatiger Arbeitslosigkeit findet L. bei einem Unternehmen der Umwelttechnik eine neue Beschäftigung.
6) Großraumbüro-Fall
Der promovierte Ingenieur K. leitet ein selbstständiges Ingenieurbüro, das auf dem Gebiet der Bauphysik beratend tätig ist. Anfang der 1960er Jahre sind er und seine Mitarbeiter im Auftrag eines bedeutenden Konsumgüterunternehmens mit vorbereitenden Untersuchungen zum Bau eines neuen Bürogebäudes befasst. Kurz zuvor war die Idee des Großraumbüros aufgekommen, einer Bürokonzeption, bei der mehrere Dutzend bis über hundert Arbeitsplätze in einem durchgängigen saalartigen Raum angeordnet werden. Diese Idee begegnetjedoch„allerleigefühlsmäßigenundauchsachlichenEinwendungen. Werbisherim Einzelraum arbeitete, sieht im Übergang in den Großraum häufig eine Abwertung; die gegenseitige Störung erschwere die Arbeit, ermüde und könne so keinen Nutzen, sondern müsse Nachteile für das ganze Unternehmen bringen. Diese Einwände haben sich in vielen Fällen als berechtigt erwiesen“. So warnen auch K. und seine Mitarbeiter, auf die Gestaltung von Großraumbüros angesprochen, den verantwortlichen Architekten vor dieser neuen Bürokonzeption. Während der betreffenden Planungsarbeiten kommt nun der Firmenchef des Auftraggebers „von einer Reise nach USA zurück und will, von dort angeregt, mit allem Nachdruck Großraumbüros in seinem neuen Verwaltungsgebäude haben. Ich war dagegen und wurde, trotz bester Zusammenarbeit in manch anderer Hinsicht, schließlich vor die Entscheidung zu einem Abbruch unseres Mitwirkens bei weiterer Ablehnung gestellt“. Nach sorgfältiger Überlegung revidiert K. seine Einstellung, weil er den Eindruck gewinnt, dass der Hauptgrund für die Unbeliebtheit des Großraumbüros in der Geräuschbelastung liegt, mit der sich die darin Arbeitenden gegenseitig stören: „Insofern stellt das Großraumbüro also eine akustischeAufgabe dar“. Dementsprechend ändert K. gemeinsam mit seinen Mitarbeitern die Beratungsstrategie: Er folgt dem Wunsch des Bauherrn und übernimmt die akustische Optimierung der Großraumbüros. Zu diesem Zweck stellt er umfangreiche Untersuchungen über Geräuschentstehung, Geräuschausbreitung und Geräuschbelästigung an und konzipiert Maßnahmen zur Erzielung eines angemessenen Geräuschpegels, die vom Gebäudegrundriss über Schallabsorptionsmaßnahmen an Decke und Boden bis zu zusätzlichen Stellwänden zwischen den Arbeitsplätzen reichen. Die Großraumbüros werden nach diesen Grundsätzen derart realisiert, dass sich, von punktuellen Abweichungen abgesehen, ein konstanter Grundgeräuschpegel von 50 bis 55 Dezibel(A) einhalten lässt, eine Geräuschbelastung, die nach dem Stand arbeitswissenschaftlicher Erkenntnis als völlig unbedenklich galt. Dieser Fall zeigt, dass nicht nur Ingenieure in abhängiger Tätigkeit, sondern auch selbstständige Ingenieure in einen Konflikt zwischen eigener Problemsicht und fremden Erwartungen geraten können. Besteht dann der selbstständige Ingenieur auf seinem anfänglichen Problemverständnis, riskiert er die Auflösung des Beratungsvertrages; unter Umständen treffen die finanziellen Konsequenzen nicht nur den Leiter des Ingenieurbüros, sondern gegebenenfalls auch seine Mitarbeiter, die er dann nicht weiter beschäftigen könnte. Im vorliegenden Fall liegen die Dinge günstiger: „Nicht der wirtschaftliche Nachteil eines Auftragsentzuges konnte uns als gut fundiertes, unabhängiges Beratungsunternehmen schrecken, entscheidend war der Reiz des Neuen. Die Entwicklungsaufgabe, deren Umfang über den eigentlichen Beratungsauftrag hinausging, haben wir in eigener Finanzierung durchgeführt“. K. löst also den Konflikt, indem er das Problem (die Bedenken gegen Großraumbüros) auf einer professionellen Definitionsebene (nachteilige Lärmbelastung) neu formuliert und dann seine fachliche Kompetenz und seine freiberufliche Unabhängigkeit für eine erfolgreiche Problemlösung einsetzt. Freilich nimmt er mit dieser Eingrenzung der Problematik in Kauf, anderen zuvor vermuteten Schwierigkeiten, vor allem auch psychosozialer Art, nicht weiter nachgehen zu können.
4. Fallbeispiel - Selbsterlebter Verantwortungskonflikt
Schreibe ein selbsterlebtes Fallbeispiel. Wann hast du dich in deiner eigenen Berufspraxis schon einmal in einem Verantwortungskonflikt befunden? Das Fallbeispiel muss nicht den Ingenieurberuf betreffen, es kann auch eine Situation in einem Studijob, im Praktikum etc. beschreiben. Berichte von dieser Situation in etwa 100 Worten.